Adelheid Reinbold: RUSSISCHE SCENEN / IRRWISCH-FRITZE

Zwei Novellen

(Herausgeben von mondrian v. lüttichau)

Zu unrecht völlig in vergessenheit geraten war die junge schriftstellerin adelheid reinbold (1800-1839), eine eigenwillige literarische protagonistin der ersten deutschen frauenbewegung. Sie stammte aus hannover, arbeitete vorrangig in dresden und war befreundet mit dorothea und ludwig tieck, friedrich v. raumer und ida v. lüttichau. Zwei noch immer lebensvolle, tiefgründige und mitreißende novellen werden hier wiederveröffentlicht, 170 jahre nach ihrem tod. Dazu ein biobibliografisches vorwort (mondrian v. lüttichau) sowie ein zeitgenössischer nachruf (ludwig tieck).

Siehe auch die 2015 bei A+C wiederveröffentlichte erste buchveröffentlichung adelheid reinbolds: 'Novellen und Erzählungen 1836'.

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Arthur Rimbaud: ZWEISPRACHIGE WERKAUSGABE

Arthur Rimbaud bei  Autonomie & Chaos, Teil II

Jean Nicolas Arthur Rimbaud (1854 – 1891) gilt er als einer der einflußreichsten französischen Lyriker. Poetische Werke verfaßt hat er allerdings nur zwischen seinem 15. und 20. Lebensjahr.Sein weiteres Leben wurde bestimmt von Reisen (London – Stuttgart – zu Fuß nach Italien – Paris – Wien – Brüssel – Java – Nordeuropa – Alexandria – Hamburg – Italien – Zypern); diese wurden immer wieder unterbrochen durch kurzzeitige Rückkehr nach Charleville, den Ort seiner Herkunft, wo seine Angehörigen lebten. Auf Zypern leitet Rimbaud kürzere Zeit die Arbeiten in einem Steinbruch. 1880 gelangte er nach Aden (im heutigen Jemen) und wurde dort Angestellter einer französischen Firma, die mit Pelzen und Kaffee handelte. Anfang 1891, während eines Aufenthalts in Somalia, bekam Rimbaud starke Schmerzen im Knie. Er liquidierte sein Geschäft und reiste unter großen Strapazen nach Marseille. In einer dortigen Klinik stellte sich heraus, daß er Knochenkrebs hatte und das Bein amputiert werden mußte. Hiernach verbrachte er, auf Genesung hoffend, einige Sommerwochen in Roche, fuhr dann unter Schmerzen wieder in die Klinik nach Marseille. Dort starb er am 10. November 1891.

1873 hatte Rimbaud den Zyklus UNE SAISON EN ENFER veröffentlicht, die einzige von ihm initiierte Buchveröffentlichung, die für ihn zugleich das Ende einer grundlegenden poetischen Lebenshaltung bedeutete. 1874/75 arbeitete er an Reinschriften von Prosagedichten mit der Intention, diese für eine anders orientierte Veröffentlichung zusammenzustellen. Diese Reinschriften wurden (unter dem Titel ILLUMINATIONS) ab 1886 von anderer Hand und ohne Rimbauds Wissen in mehreren Varianten veröffentlicht. Sein Leben als Dichter war spätestens 1876 abgeschlossen. – –

Rimbaud irritiert, verstört, andererseits berühren viele seiner Formulierungen schon beim ersten Lesen unmittelbar. Dazu kommt das frühe Lebensalter, in dem sein Werk entstand, kommt der nur schwer zu verstehende Abbruch seiner literarischen Arbeit in einem Alter, in dem andere Künstler – mit derart hohem kreativen Potential – gerade erst angefangen haben.

Der Einfluß des Werkes sowie auch der mysteriösen Persönlichkeit Rimbauds auf die Dichter des Symbolismus und des Expressionismus war beträchtlich, die Surrealisten mit ihrer Idee des nur vom Unbewußten gesteuerten Schreibens, der écriture automatique, orientierten sich an ihm, in anderer Weise die französische Künstlergruppe Le Grand Jeu. Rimbaud wird auch als bedeutender Protagonist der US-amerikanischen Beat Generation verstanden. Bis heute beziehen sich KünstlerInnen unterschiedlicher Provinienz auf Rimbaud, darunter Henry Miller, Patti Smith und Jim Morrison, Wolfgang Hilbig, Thomas Brasch und Volker Braun.

Nach der ersten umfassenderen Rimbaudausgabe auf deutsch (K. L. Ammer 1907, Einführung Stefan Zweig) wurde 1925 Franz v. Rexroths erste Übertragung vorgelegt. – 1954 veröffentlichte der Limes Verlag Wiesbaden dann die Werkausgabe Franz v. Rexroths. Diese wird hier wiederveröffentlicht, erweitert um die französischen Originaltexte. Gedichte, die bei Rexroth fehlen, wurden hinzugefügt. Die Neuausgabe enthält darüberhinaus Faksimiles, 90 zusätzliche Übersetzungen anderer AutorInnen, einen Exkurs zu Rimbauds Brief an Jules Andrieu (16. April 1874), Abbildungen und ein Nachwort des Herausgebers.

Ältere Lyrikübersetzungen aus größerem zeitlichen Abstand wieder zur Hand zu nehmen, kann durchaus Erkenntniswert haben. Sie bewahren den Blick einer anderen Generation, aus anderen sozialen und gesellschaftlichen Umständen auf das Werk. Blinde Flecke, Ressentiments, Moden gibt es in jeder Generation, nur immer wieder verschiedene. Aber auch besondere Sensibilitäten und Nuancen des Menschseins. So gesehen wäre die vergleichenden Lektüre verschiedener Übersetzungen einzelner Rimbaudtexte vielleicht sogar ideal! – Zum Erkunden von Nuancen Rimbaud'scher Gedichte möchte die ergänzende Aufnahme von Einzelübersetzungen anderer AutorInnen in diese Neuausgabe der Rexroth'schen Arbeit einladen.

Mittlerweile gibt es eine Fülle erläuternder Hinweise zu rätselhaften Stellen seines Werkes, auch innerhalb von deutschsprachigen Werkausgaben. Jedoch bleiben viele Gedichte Rimbauds schwierig, lassen keine eindeutige Interpretation zu – im französischen Original so wenig wie in irgendeiner Übertragung gleich welcher Sprache. Hundert Jahre Rimbaud-Exegese konnten diese Rätsel nicht hinwegerklären.

Weitere Veröffentlichungen zu Arthur Rimbaud erscheinen 2022/23 bei A+C.

(Aus dem Nachwort des Herausgebers)

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Christa: ICH SUCHE WAHRHEIT, WEG UND LEBEN

Heidelberg, April 1981. Christa Stiehm ist meine Chefin im VERLAG LAMBERT SCHNEIDER / LOTHAR STIEHM VERLAG. Bald ergänzen nichtgeschäftliche Hinweise, Assoziationen, Kommentare unsere gemeinsame Arbeit, mündlich wie auf Zetteln. Was berührt mich so an dieser Frau, hab ich mich gefragt, mit der ich außerhalb der Stunden im Verlag nichts zu tun hatte, die mit meiner sonstigen Lebenswelt kaum etwas zu tun zu haben schien?! –
Später hörte ich für rund 20 Jahre nur noch sporadisch von Christa. Ihre Scheidung von L. und der Verkauf des Verlags. Eine neue Lebenspartnerschaft. Anthroposophische Studien. Gemeinsam mit HFW dessen Haus gebaut. Später ein kleines eigenes Haus daneben gekauft und instandgesetzt. – Als wir vor einigen Jahren wieder Kontakt zueinander aufnahmen, hab ich mich getraut, auf ihre damaligen Zettel anzuspielen … und ob es vielleicht mehr Aufgeschriebenes gibt? Und ob sie sich vorstellen könnte, ein Buch draus zu machen? –
"Das ist doch alles nichts Besonderes, sowas erlebt doch jeder! Und wer will denn sowas lesen?" war ihre spontane Reaktion. "Ja, aber es ist etwas Besonderes, wie Sie mit diesem Erleben umgegangen sind... was Sie draus gemacht haben!" konnte ich schon aufgrund meiner Erinnerung an die Zeit im Verlag sagen.
Seit Anfang 2017 schickte sie uns (meiner Freundin Petra Bern und mir) nach und nach ihre Aufzeichnungen aus 50 Jahren: Tagebücher, einzelne Blätter, Briefe, ein Karteikasten, durchnummerierte Zettel und etliche Fotos, auch Briefe anderer. Wir durften lesen – mit der Frage, ob eine Veröffentlichung daraus werden könnte.

"Wat is los: nehme ich mich zu wichtig, oder nehm ich mich nicht wichtig genug. Es ist zum Kotzen." – steht auf einem Zettel an uns (28.11.17). Wer weiß, was jemand ist? Ich empfinde Christa als Mystikerin, die in allen Augenblicken sinnlich-konkretes, alltägliches Leben verwebt mit der Frage nach dem Ganzen, nach Wahrheit.Ein Schwerpunkt ihrer Wahrheitssuche ist Gott und "der Christus Jesus", axiomatische Begriffe sind Geist, Ich, Wille und Idee. Der andere Schwerpunkt ist die Suche nach mitmenschlichem Leben: in Liebe und Bindung, in sozialer Verantwortung und Partnerschaft. Es gibt vielleicht nur wenige Menschen, die dieses Spannungsverhältnis ein Leben lang ausgehalten und immer neu mit Sinn erfüllt haben; Christa gehört zu ihnen.
Allgemeinmenschliche ("private", "alltägliche") Situationen und Konstellationen nimmt Christa vorbehaltlos für wahr; ihre äußeren und inneren Erfahrungen werden bedeutsam über den Anlaß hinaus.Schlimme Lebenserfahrungen mit uns selbst und anderen haben wir alle. Zum fragwürdigen Konsens der sozialen Normalität gehört, daß wir mit derlei weitgehend allein "fertigwerden" sollen. Oft hat das zur Folge, daß wir Ungelöstes (vielleicht Unlösbares) innerlich wegzuschieben versuchen oder es billig rationalisieren. Das Besondere an Christas Aufzeichnungen ist nicht nur, daß sie überfordernde soziale (und spirituelle) Erfahrungen und Empfindungen redlich, subtil und doch einfach in Worte kleidet, sondern: wie sie mit ihnen umgeht. Sie verharrt nicht in den Fronten von Schuld und Schuldzuschreibung, sondern stellt dieser menschlich-allzumenschlichen Methode der Konfliktlösung das Vor-Bild Jesu Christi gegenüber. Obwohl ihr ethischer Anspruch dabei gelegentlich schier übermenschliche Höhe erreicht, verliert sie das Menschenleben hier und jetzt nicht aus dem Auge, aus dem Herzen. Erst müssen wir einige Gewißheit haben über unser "Ich", um eventuell den Schritt darüber hinaus machen zu können. Zugleich betrachtet Christa die Materie der Welt nicht nur dinghaft, sondern auch als Erscheinungen, als Spuren, Zeichen und Bilder, die uns in das Mysterium der Schöpfung hineinführen. – In diesem tiefgründigen (also "radikalen") Hineinhorchen in das Geheimnis des Menschseins und der Menschenwelt liegt das Kostbare ihrer Aufzeichnungen auch für LeserInnen, die Christas christliche Haltung nicht teilen.

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Claudia Beate Schill: IMMER WERDEN WIR FREMDLINGE SEIN

Eine Auswahl (1978-2009)
(Hrsg. Mondrian v. Lüttichau)

Freiheit zu neuschöpfendem sein findet die lyrikerin claudia beate schill im dschungel der wörter. Sie bricht durchs unterholz der sprache, schwirrt der sonne entgegen wie die lerche, sucht leben, sucht sinn - irgendwo zwischen paradies und apokalypse. Ich bin dankbar und froh, daß diese auswahl ihrer anrührenden, vieldeutigen, archaischen, liebevollen, versponnenen, trotzigen poesie bei AUTONOMIE UND CHAOS möglich wurde.
Enthalten ist auch ein wichtiges, bisher unveröffentlichtes 'Traktat aus einem Privatbrief über Lyrik'.

Claudia Schill starb am 11. November 2022. Eine Veröffentlichung zur Erinnerung an sie ist bei A+C in Arbeit.

Siehe auch die federzeichnungen 'Menschen in Bewegung' von claudia beate schill.

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Claudia Beate Schill: MENSCHEN IN BEWEGUNG

Ein im jahr 2010 entstandener zyklus von federzeichnungen der lyrikerin zeigt uns geradezu archetypische momente von lebenszugewandter menschlichkeit. Es sind bilder von meditativer durchsichtigkeit, bestimmt von tiefer menschenliebe und achtsamkeit.

Claudia schreibt in ihrem vorwort: "Alle Menschen bewegen sich aufeinander zu, voneinander fort oder treten im Zweifelsfalle auf der Stelle, ob sie das nun wollen oder auch nicht. Sich in Bewegung befindliche Menschen sind wie ein Wunder, was sie selbst kaum oder auch gar nicht wahrnehmen. Alles, was Odem hat, atmet, lebt, ist aufeinander angewiesen oder tauscht sich geistig oder finanziell aus. So verkörpert jeder einzelne Mensch seine eigene Welt, die mit ihm be­ginnt und aufhört. Weltgeschichten werden geboren und begraben. (...)Menschen wirklich, genau und nicht oberflächlich wahrzunehmen, ist mit der Feder einfacher auszuführen als mit irgendeinem technischen Apparat. Menschen in Bewegung sind genauso faszinierend wie Blumen, Vögel, Tiere oder Engel."

Siehe bei A+C auch den gedichtband 'IMMER WERDEN WIR FREMDLINGE SEIN'.

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Detlev Walter Schimmelsack: GEDANKEN WERTE UNWERTE FLIEGEN LASSEN. Neue Gedichte

"Die Texte sind voller Einsamkeit und Sehnsucht und gleichzeitig getragen von Versuch, stark und allein zu stehen und nichts mehr zu hoffen. Der Dichter beschwört in den Gedichten seine Autonomie und doch macht er sich gerade dadurch verletzlich und abhängig. Die Gedichte sind getragen von dem Gefühl der Ausgrenzung, dem Wunsch dazuzugehören und gleichzeitig der Hoffnung, auch im anders zu sein Anerkennung zu finden. (…)
Es sind Gedichte zwischen Ausgrenzung und Einengung. Zwischen der Sehnsucht nach menschlicher Nähe und dem Wunsch, von dieser Nähe unabhängig zu sein. Zwischen Hoffnung und Selbstaufgabe. Vom Verirren und der Hoffnung heimzukehren. Gedichte, die berühren und verstören."(Aus dem Nachwort von Dr. Birk Eggers)

Diese veröffentlichung wurde herausgegeben von der SÄCHSISCHEN GESELLSCHAFT FÜR SOZIALE PSYCHIATRIE (SGSP e.V.)

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Giuliano Asti: BISMILLEHNARIAN. Reise und Gedicht

Aus dem Italienischen übersetzt vom Autor

Uta Kühn schreibt im nachwort über giuliano asti (geboren 1937 in mailand): "Ich lernte ihn als einen einfachen und bescheidenen Menschen kennen, der das wenige was er hatte mit allen teilte. Und als einen Mann, mit dem ich stundenlange philosophische Gespräche führen konnte voller Spannung, Harmonie und Staunen. Diese Art von Gesprächen und intensiven Begegnungen mit den Menschen, die er unterwegs traf waren für ihn ein immerwährendes lebendiges Wasser, das er trank und weitergab."

Die erstausgabe dieser deutschsprachigen gedichte erschien 1992 als typoskript in fotokopierten einzelexemplaren. Giuliano asti gab sie uta kühn mit der bitte, seine gedichte irgendwann in deutschland zu veröffentlichen. Eine italienische ausgabe erschien 1999 beim verlag Gabrieli Editore Roma. Zwei jahre später starb der autor.

Das nachwort ist deutsch und italienisch. -Mit dieser online-ausgabe verband sich unser wunsch, auch in italien an giuliano asti zu erinnern! - Erst später fanden wir heraus, daß in italien auch noch zwei prosa-bände von giuliano asti erschienen sind:

In LA VIA DELL'OREB. Viaggio al monte Sinai (1988)erzählt der autor von reisen in die wüstenwelt der beduinen, vom roten meer, einem aufenthalt in einem kloster, konfrontationen mit der israelischen armee: "L'incontro con il mondo beduino, col Mar Rosso e l'aspra realtà del deserto, parallelamente a un breve soggiorno nel monastero di Santa Caterina, insieme alle più svariate vicissitudini di viaggio, nonché a continue peripezie coi rappresentanti dell'esercito israeliano, animano e rinnovano quindi senza sosta il lungo racconto no alla sua conclusione, offrendo spesso materia su cui meditare e da comunicare agli altri. Il richiamarsi spesso ad avvenimenti e personaggi che abbiano caratterizzata la storia del Sinai fa ovviamente parte integrante e basilare di tutta l'opera."

Auch DELL'ALBERO E LA PIETRA - Viaggio in medioriente(2009)berichtet von reisen zwischen kulturen und religionen: katholische welt und hippies in italien, jüdische und arabische welt in israel: "Qui si cimenta con uno stile di vita comunitaria agraria organizzata su vasta scala, dove è stato abolito il miraggio dell'opulenza e l'uso del denaro a livello individuale. L'avvicinamento con candore voltairiano, ad aspetti dell'Ebraismo, dell'Islam e del Cristianesimo danno corpo al seguito della storia, toccando temi a tutt'oggi molto sentiti come quello della guerra e della pace, della convivenza tra Ebrei e Palestinesi su di una stessa terra, nonché della reciproca accettazione tra le tre religioni che fanno capo a Gerusalemme."

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Gudrun Tuulia: DIE ERDE IST EIN BEFREMDLICHER ORT. AFRIKA 1

"Wie soll ich sanft sein, wenn rundherum Krieg ist. Sanftheit. Tiger. Pures Sein. Krieger. Schleicher. Unberechenbar. Skorpion. Man lebt allein, man stirbt allein. Vom Zehnmeterbrett in die Leere springen. Durchtauchen und ein goldener Schild aus Licht. Schützend, heilend. Darunter beginnt sich die Wunde zu schließen. Unter einer Pyramide aus Gold und Licht. Uralt. Mir scheint es ewig, dass ich von einer Welt zur anderen wandere, und das ganze ist wie ein einziger langer Tag. Von einem Leben zum nächsten. Nicht anders als die Schuhe zu wechseln. Die letzten paar hundert oder tausend Jahre als Beobachterin und Zeugin, eine Art Auslandskorrespondentin für das universelle Archiv." GUDRUN TUULIA

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Guido mohammad jafar: AUFZEICHNUNGEN EINES SUCHENDEN. Der nicht "sterben" will

Neuausgabe Februar 2020

(Hrsg. von mondrian v. lüttichau)

Mein freund guido starb 1994. Das buch enthält texte und briefe aus den jahren 1980-86, die guido mir 1986 zur verwahrung gegeben hat, außerdem meine erinnerungen an die zeit mit ihm. Der buchtitel stammt von guido selbst. Die erweiterte neuausgabe enthält  zusätzlich fotos und einige weitere texte. –

Deutlich wird guidos lebenslange suche nach authentischem, unentfremdetem leben. Demgegenüber standen erhebliche seelische verletzungen aufgrund von traumatisierenden sozialisationsbedingungen. Guido mohammad jafar kann in seinen nachgelassenen texten und briefen mut machen, sich der allgegenwärtigen "normalen" entfremdung und verdinglichung nicht zu unterwerfen.

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Heidi schmidt: DAS AKROBATENBUCH

(Herausgeber: mondrian v. lüttichau)

Heidi schmidt war eine originäre kreative stimme der feministischen kunst & literatur in der BRD. 1974/5 erschienen von ihr drei schmale bücher mit prosa, 1979der hier wiederveröffentlichte band:szenen einer lebensgeschichte in aquarellen und zeichnungen.  

Heidi ging es darum, rollennormen und sozialisationsgrenzen, denen frauen unterworfen sind, im wirklichen leben sinnlich-emotional zu überschreiten, - selbstbestimmt erfahrungen zu machen, diese selbstbestimmt zu interpretieren und zu beschreiben.Dazu gehörte die zunehmende bewußtheit um eigene seelische verwundungen und entfremdungsformen, aber auch die abgrenzung von damals vorherrschenden ideologemen: "man sagt guck mal da kommt das politgroupie es ist noch nicht entschieden wer links ist und wer nicht ich bin nicht in der lage trennungen zu akzeptieren".

Heidi hatte bei all ihren individuellen nöten mehr autonomie, mehr revolutionäre lebendigkeit als viele der '68er-ideologInnen: "weil wir lügen sind wir unverständlich weil ein missverhältnis zwischen unseren ansprüchen von uns und uns als person besteht gibt es kompliziertheiten gibt es etwas zu verschweigen etwas 'uninteressantes' 'das private ist nicht so wichtig bei der politischen arbeit' aber ich kann doch nicht trennen ich will nicht trennen das würde mir den kopf zerreissen".

Die entfremdung im sozialen alltag und innerhalb der gesellschaftlichen strukturen hat seither zugenommen. Andererseits sind neue widerstandsformen entstanden, auch das bewußtsein über geschlechtsrollen und instrumentelle vernunft scheint im alltag angekommen zu sein. Heidi schmidts sinnlich-konkret dargestellte schrittweise bewußtwerdung der eigenen verinnerlichten entfremdung und deren korrespondenz mit der sozialen "normalität" hat an aktualität nicht verloren.Heidi war radikal - wenn auch kaum im sinne der damaligen linken gruppennormen. Ihre arbeiten kamen wohl 30 jahre zu früh.

Niemand scheint zu wissen, was aus heidi schmidt geworden ist. - - Ich mochte nicht hinnehmen, daß diese künstlerin und autorin ganz vergessen wird!

(Mit einem bibliografischen nachwort.)

Heidi schidts textbücher wurden im jahr 2019 bei A+C wiederveröffentlicht (unter dem gesamttitel "Das wahrnehmen der schwingungen und der buntheit  zwischen den geschehnissen macht das leben voll" - hier!

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HEIDI SCHMIDT: das wahrnehmen der schwingungen und der buntheit zwischen den geschehnissen macht das leben voll

Tagebücher, texte, gedichte, bilder und ein stück, entstanden 1973 bis 1976

Heidi schmidt war radikal in ihrer suche nach wahrhaftigkeit – und tapfer in ihrer einsamkeit, die sich durch solche wahrhaftigkeit gewiß nicht ändern konnte! Sie erkannte, daß die gleichaltrigen der '68er-zeit, der alternativkultur mehrheitlich nicht wahrhaftiger (nicht weniger entfremdet, verdinglicht) waren als die majorität der erwachsenen, der sie zu entfliehen suchte. Eine bittere, schmerzhafte erkenntnis, wenn zugleich die sehnsucht nach beziehung, liebe, bindung, sozialer gemeinsamkeit so stark ist wie bei heidi schmidt. "sie rufen die leute zusammen sie wollen etwas wichtiges sagen und sie erzählen nichts von sich sie achten immer darauf wie die anderen es hören was sie sagen es ist wie im kino"

Voraussetzung solch leidenschaftlicher, radikaler und sprachgewaltiger selbstbefragung (und befragung der sozialen normalität) ist wohl immer ein moment indivueller verrücktheit. Ich lass' das jetzt mal so stehen. Die damalige alternativ-scene konnte jedenfalls mit heidi schmidts büchern mehrheitlich wenig anfangen. Offenbar hat kaum jemand damals verstanden, "dass meine andersartigkeit / und mein nicht-mitmachen-wollen / eine chance wäre".

Heidi schmidts tagebücher, texte und gedichte können unter dem blickwinkel ihrer einsamkeit, ihrer beziehungslosigkeit und isolation gelesen werden, sie können aber auch gelesen werden als zeugnisse ihres lebenswillens, ihrer kritischen kreativität, ihrer achtsamkeit für momente von entfremdung, verdinglichung – nicht nur bei anderen menschen, sondern auch bei sich selbst. Durch ihre erschütternd schonungslose ehrlichkeit sich selbst gegenüber – auch im bemühen, kompensationsformen, rationalisierungen und andere selbsttäuschungen zu entlarven, ihre seelischen verrücktheiten zu verarbeiten, werden ihre texte zu einer radikalen, wenn auch äußerst egozentrischen selbsterkundung. Indem heidi vorbehaltlos ihre individuelle selbsterfahrung formulierte, spricht sie für viele, viele menschen, denen es nicht gegeben ist, so tief in ihr inneres zu loten: "es gibt innere stimmen die dir antworten die stärker sind als jede traurigkeit wenn du dich nur richtig fragen kannst". Ihr eigenes leben und leiden, hoffen und sehnen, ihre resignation und verzweiflung wurde ihr zum erkenntnisinstrument für den zustand der beziehungen von menschen in unserer gesellschaft. Antriebskraft dieser tagebücher, gedichte, textfragmente und bilder war ihr individuelles leid ebenso wie ihre kreative intention: ihr eigenes leben wurde zum kunstwerk, dessen schöpferin sie war.

Heidi schmidts AKROBATENBUCH (ihre bilder) wurde bereits früher bei A+C wiederveröffentlicht - hier!

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Irene Forbes-Mosse: ALTE WEGE GEHN..

Mit Hinweisen auf Vernon Lee

Mit dieser neu zusammengestellten Sammlung erscheint bei A+C die vierte und letzte (Wieder-)Veröffentlichung von Werken der fast vergessenen Dichterin Irene Forbes-Mosse (1864-1946).

Oft liegt der Sinn ihrer Erzählungen in dem mit wehmütig-ironischem Abstand geschilderten Kaleidoskop der "Gegenstände" (wozu auch Umgangsformen, Formulierungen, Begriffe und soziale Konventionen gehören), in denen das Lebensgefühl, die Identität die Personen verwurzelt ist. – Aber es geht darüber hinaus, denn "alles hatte seine heimliche Sprache" – die von den Menschen erspürt werden kann.

Nicht selten geschieht kaum etwas in ihren Texten als das pure Leben. Ja: fast pflanzliches Leben ist es, das eben auch zu uns Menschen gehört oder gehören sollte: entschleunigte Zeit. Forbes-Mosse erzählt vom sozialen Leben kaum anders als von der sogenannten "Natur"; es gibt keine grundsätzlichen Verschiedenheiten zwischen ihren Empfindungen, ob ihr dies oder jenes herzensnah wird – das ist wohl ein Schlüssel zu dem Zauber, den ihre Geschichten in uns wecken. Denn schließlich sind wir ja – praktisch, sinnlich, gegenständlich – Momente dieser Natur.

Irene Forbes-Mosses Geschichten haben keine Moral von der Geschicht', in ihnen spricht Liebe zur Welt, eine zärtliche, achtsame Menschenliebe.Dies nicht in idealistischer Träumerei, sondern in klarem Blick auf all die menschlichen Schwächen, Einseitigkeiten und Unvollkommenheiten, die untrennbar auch zum Leben gehören. Ernst und Spaß gehen bei Forbes-Mosse oft ineinander über: Kaleidoskope des Lebens!Einseitig ist natürlich auch diese Haltung dem Leben, der Menschenwelt gegenüber – wie jede andere.

In hintergründig-versponnener, unaufdringlicher Weise ist sie eine feministische Autorin. Forbes-Mosse schreibt "Frauenbücher" – aber nicht im Sinne der Unterhaltungsliteratinnen, sondern weil sie Frauen zweifellos mehr, nein: subtiler lieben kann als Männer. Die haben in ihrem Werk oft nur eben ihre Aufgaben im Plan der Schöpfung; demgegenüber frappiert, wie selbstverständlich die Welt der Frauen beim Lesen wird: "Le palais des taupes, quoi! Gott, wie es da aussah. Überall lagen die Tanten herum, auf allen Sofas, des vieilles avec des burnous, mit gelben Babuschen an den bloßen Füßen und die Hände voll kostbarer Ringe – und die Nägel gelb von Tabak."

Abgesehen von Gedichten hat Irene Forbes-Mosse erst nach dem Tod ihres Mannes 1904 zu schreiben begonnen, da war sie vierzig. Aus einer unabweisbaren inneren Notwendigkeit, sich auszudrücken, ihr schon aus der Kindheit bezeugtes überreiches inneres Leben zu verwirklichen, aber auch um ihr Leid, den Tod geliebter Menschen, den Verlust der Kindheitsheimat zu verarbeiten, wurde sie zur Schriftstellerin – so darf vermutet werden.

Ein eigenes Gewicht haben ihre Gedichte. Viele von ihnen gehören zur bewahrenswerten deutschsprachigen Lyrik Anfang des 20. Jahrhunderts, obwohl sie zum offiziellen literaturwissenschaftlichen Kanon der "Moderne" nicht passen. Im Gegenteil: diese Gedichte (nicht alle von ihr) schlagen die Brücke zurück bis zu Goethe, sie atmen, sind unprätentiös und nichts weniger als epigonal oder bildungsbürgertümlich.

Eine besondere Bedeutung nahm in Forbes-Mosses Leben die Freundschaft mit der Essayistin und Kunsthistorikerin Vernon Lee ein, deren eigenartiges und kompromißloses Werk (und Leben) im deutschsprachigen Raum kaum rezipiert wurde. Auch deshalb wurden Hinweise zu  Vernon Lee in diese Veröffentlichung aufgenommen.

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Jim Morrison: THE LORDS - DIE HERRENGÖTTER

Bereits im juni 1968 wollte jim morrison (1943 - 1971), der berühmte sänger der DOORS, sich von seiner band trennen; er ließ sich zur weiterarbeit überreden. 1970 gelang ihm der absprung; mit seiner lebensgefährtin pamela courson ging er nach europa.

Im mittelpunkt seiner kreativität stand seit jeher eine poetisch aufgeladene sprache. Die suche nach filmischen gestaltungsmöglichkeiten kam bald dazu. Einige zeitzeugnisse belegen, wie er sich bereits während seines studiums der film- und theaterwissenschaften (1964 - 65) atemlos & gierig bildung und erkenntnisse an land gezogen hat. THE LORDS (zuerst veröffentlicht 1969 als privatdruck) ist zweifellos ein von jim bewahrter rest dieser notate. Dort hat er gesellschaftliche zusammenhänge betroffen für sich selbst entdeckt und versucht, das mosaik seines theoretischen (auch kritischen) nachdenkens über soziale realität und künstlerische möglichkeiten darzustellen. Heute können wir die arbeit als brückenglied und schlüsseltext lesen, denn sie vermittelt seinen endgültigen schritt ins eigene, den übergang vom suchen zum finden, vom sammeln zum gestalten.

Eine konsistente ausführung seiner grundlegenden theoretischen und konzeptionellen gedanken und asssoziationen war dem autor zu diesem zeitpunkt noch nicht möglich. So ist THE LORDS - von der äußeren form her - kaum mehr als ein grobes gerüst aus beobachtungen & anmerkungen, ein exposé, aus dem ein buch hätte werden können - aber auch ein film. Hilflosigkeit beim leser, mehr noch beim übersetzer, ist aus dieser unzulänglichkeit heraus unvermeidbar. Widersprüche, nicht durchgehaltene darstellungsebenen oder gedankensplitter übersetzen zu wollen, wird entweder auf kosten der verständlichkeit oder der übersetzungstreue gehen. Für jede einzelne wendung ist aus neue abzuwägen zwischen diesen kriterien.

THE LORDS lag bisher zweimal auf deutsch vor. Beide übertragungen werden dem text kaum gerecht. In mehreren anläufen entstand seit 1975 meine eigene übertragung. Sie erschien zunächst 1984 in berlin, als privatausgabe im damaligen selbstverlag Autonomie & Chaos. Für die vorliegende neuausgabe 2018 wurde die übersetzung durchgesehen; einige abbildungen kamen dazu.

Jim war fasziniert von der macht, die jedem auf der bühne, auf der leinwand zugebilligt wird von den zuschauern, - und zugleich hat er erschrocken und betroffen die auswirkungen einer solche arbeitsteiligen lebendigkeit beobachtet. Die inhaltliche prägnanz und spannung, mit der er dieses problem in seiner ganzen ambivalenz zusammenbaut, gleicht die schriftstellerischen mängel bei weitem aus für jeden, der sich ernsthaft damit auseinandersetzt.
Jim morrisons notizen über uns, die wir vom mad body dancing on hillsides verwandelt worden sind in a pair of eyes staring in the dark, kamen 1971 zu mir, und sie werden mich wohl zeitlebens begleiten; denn um diese ganz und gar tragische metamorphose von gesellschaft und menschlichkeit geht es mir & uns, - und sie schreitet fort.

Mittlerweile sind mehrere bände mit texten jim morrisons auch auf deutsch erschienen, daneben wichtige interviews mit ihm, sekundärliteratur und dokumentarfilme. Als wir (gise & ich) 1976 sein grab in paris besuchten, war es nur die verschmuddelte rückseite eines anderen grabmals; ein friedhofswärter wies uns den weg. Mittlerweile gibt es dort einen ordentlichen grabstein und eine fülle von besucherInnen sowie mediale aufmerksamkeit an jedem geburtstag und todestag. Vergessen ist jim morrison offenbar nicht … das tröstet und gibt hoffnung, daß von ihm nicht nur die platten der Doors übrigbleiben werden - so atemberaubend und durch nichts zu ersetzen diese musik ist.

THE LORDS. NOTES ON VISION ist ein nachlaß von jim morrison, der von den DOORS weggegangen war, um die nächsten räume  seines eigenen lebens zu finden. Diese textcollage war 1968/69 jim morrisons erster schritt über die zeit des sängers, songschreibers, des musikstars hinaus. Rückblickend läßt sich THE LORDS lesen als kommentar zu den erfahrungen, die jim bis 1969 als sänger der Doors mit der medialen und physischen öffentlichkeit gemacht hatte. Es war der allererste schritt seiner kritischen auseinandersetzung mit der grundlegenden und progressiven entfremdung und verdinglichung, mit der janusköpfigkeit des films (als kunstwerk oder konsummedium) - themen, über die zu jener zeit erst von wenigen kritisch nachgedacht wurde. , Heute, auf dem hintergrund der elektronischen, digitalen, interaktiven medien, ist es geradezu ein modethema.

Aber diese textcollage ist zugleich ein dokument seiner suche nach vitalen verbindungen zwischen texten, musik, kino, bild, inszenierung und sozialem leben - auch darin war jim seiner zeit voraus. Vermutlich hätte er als einer der ersten künstler mit den möglichkeiten der digitalen technik gearbeitet - im bemühen, wahrhaftigkeit, authentiziät, wahrheit anzunähern durch unwahrheit, entfremdung, verdinglichung hindurch.
Nicht zuletzt geht es in THE LORDS um das ewige thema: kunst oder leben? Ist kunst tieferes, autentischeres, dichteres leben - oder ist sie ein gegenpol zum leben, führt sie weg von authentischem leben?

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Kurt Münzer: PHANTOM

Zürich 1916/17, jenseits der grenze tobt der weltkrieg. Doktor gram, der dichter, sucht wahrheit an den extremen seiner erfahrung. In irisierender verdichtung stellt kurt münzer spannungsverhältnisse menschlicher lebendigkeit dar: zwischen phantasie (traum) und wirklichkeit, zwischen kunst, leben und ruhm (oder geld), zwischen liebe und sexualität, männlich und weiblich, schicksal und entscheidung, ideal und realität, alleinsein und begegnung: eins zehrt vom andern, eins geht ins andere über..

Literaturgeschichtlich kann münzers werk meist dem Expressionismus, teilweise eher dem Magischen Realismuszugeordnet werden. Gerade der hier wiederveröffentlichte künstlerroman von 1919 irrlichtert zwischen metaphern und mythen, assoziationen und inszenierungen, stilformen und alltagsästhetiken, um existenzielle, noch heute höchst aktuelle konflikte darzustellen; selbst in kolportagebildern und fin de siècle-inszenierungen wird ein archetypischer kern freigelegt.

Kurt münzer lotet menschliche empfindungen und bedürfnisse aus bis in verstörende untiefen und jämmerlichste entfremdung, bis in skurrile unwahrscheinlichkeit und kitschige schwarzweißmalerei. Er zeigt das gefangensein der menschen in ideologischen strukturen und kategorien verdinglichter gesellschaftlicher normalität, wodurch authentisches empfinden regelhaft übergehen muß in macht-, besitz- und zerstörungsimpulse; wir verstricken uns in selbstüberhebung, schuld- und minderwertigkeitsgefühle.

Kurt münzers affinität zu zürichwird in manchen erzählungen und feuilletons deutlich. Hier lebte und studierte er ab 1904, in zürich starb er 1944. Vor und während des ersten weltkriegs ist die schweiz und gerade zürich zeitweiliger zufluchtsort deutscher und österreichischer künstler und intellektueller. Die meisten deutschsprachigen protagonistInnen des künstlerischen und intellektuellen zürich jener zeit fanden sich anschließend im berlin der Zwanziger Jahrewieder; auch kurt münzer sollte zu dieser szene gehören.  (Aus dem nachwort)

Von kurt münzer wurden bei A+C bereits wiederveröffentlicht die romane 'Jude ans Kreuz!', 'Esther Berg'und 'Menschen am Schlesischen Bahnhof' sowie ein band.

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Liane Tjane Michauck & Co: SCHRITTE INS LEBEN

GEDICHTE AUS DREISSIG JAHREN 

Wir sind die familie Michauck - -
das heißt wir sind multipel und heutzutage leben fünf personen in einem körper.
Physische, psychische, sexuelle und rituelle gewalt haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind.
Inzwischen ist der körper 63 jahre alt und es gibt zwei erwachsene (liane und martina), zwei jugendliche (jane und krissy) und ein kind (taralenja).
Aber es war nicht immer so. Wir waren einige personen mehr, die inzwischen durch fusionen zusammen gefunden haben. Wir lebten jahrzehnte lang am rande des abgrundes. Suizidgedanken und verletzungsdruck begleiteten uns ständig.
Eine jahrelange traumatherapie stabilisierte uns nicht. Aber zumindest wurde nach einigen jahren Dissoziative Identitätsstruktur (DIS, "Multiple Persönlichkeit") diagnostiziert.
Trotzdem wurde und wird von uns erwartet, dass wir funktionieren.
Wir haben in unserem leben zwei studienabschlüsse gemacht, jahrelang gearbeitet, ein kind groß gezogen.
Später haben krankenhausaufenthalte, eine erneute traumatherapie sowie ein jahr außenwohngruppe uns sehr geholfen, uns zu stabilisieren. Seit 2020 müssen wir wegen unserer schwerwiegenden körperlichen erkrankungen in einem pflegeheim leben.

Jahrelang haben wir nach möglichkeiten gesucht, unsere vergangenheit aufzuarbeiten. Wir haben gemalt und gedichte geschrieben. Beides spiegelt alle unsere facetten wider, unsere verzweiflung, den lebensüberdruss, aber auch schönheit und lebensfreude.
Diese online-veröffentlichung enthält unsere allermeisten gedichte (und viele zeichnungen und gemälde).In manchen gedichten und bildern geht es um schreckliches – das uns geschehen ist, wie es noch unzähligen anderen menschen widerfährt, auch heutzutage, auch bei uns – vielleicht beim nachbarn!

Wir bitten alle leser*innen, auf sich aufzupassen und manche gedichte vielleicht zu überblättern.

Aber es geht auch um schönes, hoffnungsvolles, um liebevolle momente. Es ist unser leben.

jane & MARTINA & liane & krissy & taralenja

auc-153-michauck-schritte (pdf 4,8 MB)

Maja: ACHTSAMKEIT … oder: Ein kleines Stück Freiheit

Diese Seiten sollen zeigen wie wertvoll das Leben ist.
Wie viele wunderschöne Facetten die Natur, unsere Umwelt zu bieten hat.
Wie schön die Dinge sind, die nicht mit Geld zu bezahlen sind.
Man muss nur achtsam sein, hinschauen und genießen.
Diese Seiten sollen auch für all die Menschen sein, die Probleme haben, kleine und große.
Es soll helfen im Hier und Jetzt zu halten, das Bewusstsein jedes einzelnen zu öffnen.
Dass es helfen kann, sich auf die vorhandenen
wunderschönen Dinge im Leben zu konzentrieren.
Das "Schlimme" für ein paar Momente
hinter sich lassen zu können...

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Mondrian graf v. lüttichau: DIE SINNSPRÜCHE DES LI BOYANG, GENANNT LAOTSE (2019)

Um die erste version meines versuchs einer annäherung an das 2400 jahre alte weisheitsbuch Dàodéjīng (Tao Te King) zu veröffentlichen, hatte ich 1981 den Verlag Autonomie + Chaos Heidelberg ins leben gerufen.

Mehr und mehr haben sich im laufe der jahrhunderte die bewußtseinsebenen ausdifferenziert, auf denen wirklichkeit (jenseits begrifflicher festlegungen) erfahrbar wird. In unserer zeit kann nur noch jeder einzelne an seinem platz zu machen versuchen, was er oder sie für angemessen hält. Wirklichkeitsgemäßes handeln auf eine bestimmte praxis festzulegen, ist nicht mehr möglich, denn jedes definieren trägt den keim der seit damals fortgeschrittenen verdinglichung (instrumentalisierung). Menschliche wahrnehmung und erfahrung ist ein vielfach verzweigter baum geworden; zur zeit des li boyang hatte der noch weit weniger äste, zweige, blüten und früchte. Verdinglichung und selbstentfremdung haben sich aufgebläht in einer weise, deren grundmuster li boyang 2300 jahre vor theodor w. adorno und max horkheimer beschrieben hat.

Dennoch können heutige soziale und politische konflikte zurückgeführt werden auf prozesse oder strukturen des menschlichen bewußtseins, wie sie in diesen 81 aphorismen kristallklar beschrieben werden. Alltägliche konflikte lassen sich begreifen durch DAO; von daher sind lösungen zu finden – noch heute. Diese uralten sinnsprüche sind das früheste plädoyer für herrschaftslose achtsamkeit und gegen entfremdung von der ganzheit des lebens. Allerdings müssen wir die hinweise des Dàodéjīng hinüberdenken in unsere sozialpsychologischen umstände.

Die tiefenökologische, sozialpsychologische weisheit des li boyang zeigt sich als konkrete orientierung an authentischem sein und handeln, – als gegenbewegung zu seelischer und bürokratischer verdinglichung.

Ab 2006 besann ich mich auf meine alte übertragung des Dàodéjīng, dachte nach über eine neuausgabe – da kam völlig überraschend das angebot einer veröffentlichung beim verlag Das klassische China. Jetzt entstand in schöner zusammenarbeit mit matthias claus seine bibliophile buchhandelsausgabe. Sie unterscheidet sich in wesentlichen nuancen von meiner ausgabe 1981. (Restexemplare sind über mich noch erhältlich.)

Die hier vorliegende ausgabe – wieder bei Autonomie und Chaos (online und kostenfrei) – ist nahezu textgleich mit der von matthias claus herausgegebenen version; es gibt nur einige wenige veränderungen. Enthalten sind wiederum die beiden briefe hermann schäfers (1978), hinzugekommen sind (sehr subjektive) literaturhinweise.

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Mondrian Graf v. Lüttichau: EIGENSINN DER FARBEN. Bilder 1971 – 1986

Neu im April 2024

Die Bilder sind entstanden in den Jahren 1971-73 (zumeist im Internat in Heidelberg) sowie in den darauffolgenden Jahren. Sie befanden sich in einer der Bananenkisten meines "Archivs"; ich hatte sie sicherlich 30 Jahre lang nicht mehr hervorgeholt. Unlängst hat sich Jane M. für sie interessiert … und als ich sie jetzt durchsah, war ich überrascht, wie nah mir viele davon noch waren, wieviel sie noch immer mit meinen Eindrücken, Empfindungen und Erfahrungen zu tun haben! Sie korrespondieren mit Begegnungen und Beziehungen im Internat, mit manchen meiner Gedichte, aber auch mit den 1998-2000 entstandenen Enkaustikbildern.
So kam es zu dieser Veröffentlichung.
Teil I enthält Bilder im Querformat, Teil II Bilder im Hochformat.

Teil I:    auc-179-mondrian-eigensinn-teil-I (pdf 5,4 MB)

Teil II:    auc-180-mondrian-eigensinn-teil-II (pdf 6,9 MB)

Mondrian w. graf v. lüttichau: ERSTICKTES LEBEN

Eine sammlung von frühen gedichten und kurzgeschichten (sowie das aphoristische anáklasis-tagebuch) aus den jahren 1966-1971. Daneben enthält das buch eine sozusagen pornografische kurzgeschichte, die 30 jahre später entstand, aber meinem empfinden nach in diesen kontext gehört. (Achtung! Diese letzte geschichte kann bei überlebenden von sexueller gewalt als trigger wirken!)

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Mondrian w. graf v. lüttichau: FARBEN SPIELEN. Enkaustikbilder

Die uralte technik der enkaustik ermöglicht vielfältigste interaktion von farben in bewegung und form. Aus spontaneität, zufall und achtsamkeit entstehen geradezu choreografische szenen. Jede bewegung zerstört unwiderbringlich und schafft neues gebilde; - intuitive verbindungen zu inneren bildern und empfindungen führen zum surréalen (wieder-)erkennen von momenten des lebens.

Diese enkaustikbilder entstanden 1998-2000 in berlin.

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Mondrian w. graf v. lüttichau: LIEDER VON DER WAHRHEIT IN UNS DRIN

Gesamtausgabe der gedichte (1970-2012). - Die gedichte haben mich begleitet, zum teil über jahrzehnte; kontinuierlich wurden sie verändert. Deutlicher zeigte sich mir im laufe der jahre das wesenhafte konkreter begegnungen, erfahrungen und empfindungen früherer jahre. Bis heute geht es mir um die möglichkeit von nähe, von beziehung und liebe im zustand der progressiven verdinglichung unserer sozialen welt. Die gedichte sind sowas wie modelle meiner fragen und meiner antworten dazu. In ihnen entfaltet sich der unbegriffliche kern meiner lebendigkeit vielleicht deutlicher als in den anderen büchern - insofern empfinde ich sie auch als eine art gegengewicht zu meinem sonstigen, eher diskursiven und werkzeughaften umgang mit sprache.

Diese 2., erweiterte und durchgesehende auflage erschien im august 2013.

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nina ranalter: AMORT

 

Nina ranalter wurde 1940 in tübingen geboren, wo sie auch aufwuchs. Sie arbeitete als sozialarbeiterin in gefängnissen und einem resozialisierungsprojekt. Mit karola bloch (architektin und partnerin des philosophen ernst bloch) war sie befreundet , auch mit der dichterin friederike mayröcker.
Der gedichtzyklus AMORT (1989) ist nina ranalters einzige selbständige veröffentlichung.

Am ehesten läßt sich AMORT als ein in episoden gegliedertes prosagedicht verstehen: epitaph für einen verlorengegangenen liebsten. (Daneben ist der zyklus wohl eins der schönsten parisgedichte deutscher sprache.) Von irgendwoher wird die (behauptete? mögliche? bezweifelte? irreale?) lebendigkeit einer frau berichtet. Sich selber fremd geworden – irrt diese frau (im november? im märz?) durch paris, in ihrer wortgewaltigen, schweigenden, verständnislosen, herzzerreißenden klage um den geliebten. Er, der aus prag zu stammen scheint (und mit ihr zusammen in paris westliche lebensverhältnisse kennenlernte), geistert durch ihre schattenhaften erinnerungen. Sie lotet aus, was sie in sich zu finden meint von dieser liebe, läßt das verlorene nid d'amour (liebesnest) in den straßen zurück und auf dem friedhof père lachaise, treibt vorüber an spuren der pariser geschichte, um sich an ihnen festzuhalten, gleitet von allem ab; – manchmal wörter aus der fremde: "was gefühlt fühle über sich hinaus ohne gegenrichtung" – aber vielleicht macht jedes erinnern reale erfahrungen zu etwas irrealem?

In diese neuveröffentlichung wurden weitere texte ranalters aufgenommen. Außerden enthält sie beiträge von sara päthe: fotografien und einen text. Beides versteht sich als spiegelungen oder imaginärer dialog mit dieser verloren gegangenen frau.

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Paul la Cour (1902-1956): FRAGMENTE EINES TAGEBUCHS

Der Verleger und Schriftsteller Michael Krüger schrieb in einem Essay zu dänischer Literatur:
"Am Anfang der deutschen Wahrnehmung der dänischen Poesie der Nachkriegszeit steht ein Buch, das in seiner Schönheit, Klarheit und Tiefe bis heute lesenswert geblieben ist – oder anders gesagt: gibt es eine vehemente, beflügelte und beflügelnde dänische Verteidigungsschrift der Poesie, die, wenn es noch mit richtigen Dingen zuginge (…), von allen gelesen werden sollte, denen die Zukunft vielleicht nicht mehr der Poesie, aber doch des Poetischen von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung zu sein scheint. (…) Wenn man über die großen poetologischen Versuche von Dichtern in der Nachkriegszeit redet, dann sollte neben Namen wie Auden, Octavio Paz oder Joseph Brodsky auch der Name des Dänen Paul la Cour stehen."


FRAGMENTER AF EN DAGBOG erschien in Dänemark im Jahr 1946, die deutsche Übersetzung kam 1953. In Dänemark erschienen 1993 und 2020 Neuausgaben;  die Ausgabe bei A+C ist die erste deutsche Wiederveröffentlichung. Sie wurde ergänzt durch einige Gedichte Paul la Cours im dänischen Original mit deutscher Übertragung von Ase Hera Tåp. Eine Impression von ihr leitet den Band ein.
In einem Anhang hinzugefügt wurden Texte zu Paul la Cours Leben und Werk sowie zur Geschichte dieser ursprünglich französischen Familie. Aufgenommen werden konnte auch ein englischer Aufsatz des Skandinavisten Gherardo Giannarelli: "Paul la Cour as a translator".

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Paul Verlaine: BRIEFE GEDICHTE TEXTE

Arthur Rimbaud bei Autonomie und Chaos, Teil V

Während der Arbeit an den Veröffentlichungen von und zu Arthur Rimbaud bedrängte mich immer wieder die Frage nach dem Dichter Paul Verlaine, mit dem Rimbaud in einem so verwirrenden Verhältnis gestanden hatte. – Schon 1870, noch in Charleville, hatte er Verlaines Gedichte für sich entdeckt, im September 1871 nahm er brieflich Kontakt zu ihm auf, schickte eigene Texte. Verlaine reagierte enthusiastisch, lud den zehn Jahre Jüngeren zu sich nach Paris ein. Offensichtlich fühlten sich beide voneinander im Innersten berührt und angesprochen. Eine leidenschaftliche Beziehung entstand. Aber grade in solcher Nähe und Unbedingtheit werden wir verwundbar, zeigen sich früher oder später Fremdheiten, die manchmal unüberwindbar sind. So war es auch hier. Während Rimbaud 1876 Europa floh, wurde Verlaine auf einem von Leid, Einsamkeit, Selbstzerstörung und später Religiosität bestimmten Weg zu einem anerkannten, ja berühmten Dichter eines Werkes, das weitab lag von der früheren literarischen Verbundenheit zwischen ihm und Rimbaud. Und obwohl Rimbaud nicht nur von seinem eigenen Werk, sondern auch von dem Freund nichts mehr wissen wollte, setzte sich Verlaine bis zum Lebensende publizistisch und persönlich ein für Rimbauds Werk. Ohne Verlaines spätere Popularität wäre es ihm kaum möglich gewesen, erfolgreich für Rimbauds Werk einzutreten. Und ohne Paul Verlaine wären Rimbauds Gedichte zweifellos zerstoben und für die Menschheit verloren. – Alles in allem eine seltsame lebenslange schicksalhafte Verbindung zwischen den beiden, über die wir nur staunen können!

Gerhart Haugs Buch Paul Verlaine. Die Geschichte des armen Lelian erschien 1944 in einem Schweizer Verlag. Es wird hier erstmalig wiederveröffentlicht – wesentlich erweitert um Gedichte, Texte, Abbildungen und Faksimiles und unter einem neuen Titel.

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Petra Bern: ESCAPICTORA

86 Fotografien von Petra Bern.

"Zäune, Zäune, Gitter, Tore, Türen, Mauern, Wände, überall stehen wir davor. Und was dahinter ist? Ein Kätzchen mal ganz am Rand, eine blühende Forsythie ganz am Rand, eine andere Katze im Schatten (obwohl 1 mm Kamerabewegung sie ins Licht hätte fassen lassen), eine Frau, die durch die Scheibe (Spiegel?) sich selbst darstellte und noch mal an einem Auto, die einzigen "Lebewesen" – doch wer fotografiert?: ein Lebewesen. Eine Frau. Hinten stellt sie sich dar. Lisa?

Der Geist stirbt nie, die Augen, die dies alles gesehen und wiedergegeben haben, auch nicht. Lisa hat nun viele, viele, fast zuviele Zäune,  Zäune, Gitter, Mauern, Türe, Wände gesehen, Kondor, Kondor, die übergroße Trauer der beiden und zum Schluß zieht die schöne, überschöne Frau in Paris die Vorhänge im Zimmer dicht zu und weint die ganze Nacht. Dies Gemälde von Stifter kann ich fast auswendig, und wie der Künstler dort wird auch Lisa die Vorhänge eines Tags aufziehen und ernst-fröhlich mit weit ausgestreckten Armen hinter die Zäune, Zäune, Gitter und Mauern stürzen. Schau!: auf Seite 31 endlich ein Mensch! Schau ihn kniend an!"

Aus einem Brief von Christa Stiehm

Siehe auch von Petra Bern: Lisa und Ludwig (1992)

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Petra Bern: LISA UND LUDWIG. Novelle einer Monumentophilie

Prägnant wird die gnadenlose soziale isoliertheit einer ohne zweifel seelisch tiefgreifend verwundeten jungen frau gezeigt, die sich in herzzerreißender konsequenz lossagt aus der gemeinschaft der lebenden menschen.

(Erstveröffentlichung 1994 - unter dem namen petra haase - in: 'VIELLEICHT blickte ich gern in die Welt. Jugendtexte zur Gegenwart.'
Hrsg. von der Jürgen Ponto-Stiftung Frankfurt/M. und dem Literaturbüro Leipzig e.V.)

Siehe auch von Petra Bern: ESCAPICTORA (2018)

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R. Gilbert-Lecomte/ M. Henry/ R. Daumal: LE GRAND JEU (1928-32)

Eine auswahl

1924. Einige 16- und 18jährige franzosen gründen die Gruppe der Simplisten. Es geht ihnen um fragen, die sich jeder von uns stellt, bevor er in pseudo-gewißheiten zur persönlichkeit erstarrt: Was ist ich? Was ist identität? Was ist der tod? Was begrenzt der körper? Was geht über diese grenze hinaus? - Die jungen leute sind aufständische, radikal genug, ihre eigene revolte zu zerfleischen, systematisch alle gewißheiten, alle anhaltspunkte zu verweigern, um den nullpunkt der verzweiflung zu erreichen.

1925 finden sich die Simplisten in paris wieder. Hier publizieren sie ab 1928 ihre zeitschrift LE GRAND JEU. Vergeblich bemüht sich andré breton, daumal und gilbert-lecomte für die surrealisten zu gewinnen. René Daumal schreibt:

"Sehen Sie sich vor, André Breton, daß Sie später nicht in den Handbüchern zur Literaturgeschichte erscheinen, während wir dagegen, falls wir uns um irgendeine Ehre bewerben, um die werben, für die Nachwelt in die Geschichte der Katastrophen eingeschrieben zu sein."

Drei nummern von LE GRAND JEU erscheinen, die vierte scheitert am geldmangel. 1933 bricht die gruppe auseinander. Roger gilbert-lecomte stirbt 1941 an wundstarrkrampf, René daumal 1944 an tuberkulose.

Die erstausgabe dieser deutschen auswahl aus LE GRAND JEU erschien in der EDITION TIAMAT (nürnberg 1980), bekam eine gewisse bedeutung bei einigen hausbesäzzerInnen in nürnberg, wuppertal und berlin, wurde aber ansonsten nur als fußnote zum (mode-)thema surrealismus rezipiert. Irgendwann war die ausgabe vergriffen.

In manchmal visionärer, spiritueller klarheit waren diese jungen leute zerstörungen, irrwegen, aber auch möglichkeiten ihrer (unserer) zeit auf der spur. - LE GRAND JEU versteht individuelle dialektische metamorphosen als grundlage von revolution (oder revolte). Aus dem blickwinkel einer induktiven, innengeleiteten revolution nehmen diese poetisch-politologischen visionen momente heutiger ideologiekritik voraus. Von daher korrelieren die ungestümen behauptungen der jungen leute mit heterogenen ansätzen wie der DIALEKTIK DER AUFKLÄRUNG (horkheimer/adorno) oder den SITUATIONISTEN um guy debord.

In frankreich, sogar in englischsprachigen ländern hat eine junge avantgarde LE GRAND JEU mittlerweile neu entdeckt. Es gibt eine französische gesamtausgabe, eigene werke der akteure wurden (wieder-)veröffentlicht und ins englische übersetzt. - Und in deutschland?

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Roswitha Bitterlich: EULENSPIEGEL. Elf Radierungen (1941)

Roswitha bitterlich wurde 1920 in bregenz geboren und bald als zeichnerisches "wunderkind" entdeckt. Ihre erste ausstellung wurde 1935 in wien eröffnet. Weitere ausstellungen fanden 1936 in prag, 1937 in amsterdam, rotterdam und kopenhagen statt, 1938 in london, zürich und den haag, 1939 in münchen und stuttgart. 1951 folgte eine ausstellung in New York. 1945 heiratete sie den katholischen publizisten und NS-widerstandskämpfer michael brink (dessen hauptwerke bei A+C wiederveröffentlicht wurden). Nach brinks tod 1947 wanderte die künstlerin nach brasilien aus, wo sie seither lebte.

Im folgenden verzichtete sie auf weitere ausstellungen und konzentrierte sich auf religiöse motive. Bereits die in der kindheit entstandenen arbeiten zeugen von einer dem menschen zugewandten genuinen spiritualität. Aber in welche welt wuchs sie hinein! Ihre verweigerung einer populären, kommerziellen "karriere" erscheint nachvollziehbar. Tiefe, existenzielle nähe ist dagegen zu ahnen zu dem gefährten michael brink, der ihr nach wenigen jahren wieder entrissen wurde.

Die hier erstmals wiederveröffentlichten radierungen erschienen 1941 in der J.G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger Stuttgart.

Roswitha wingen-bitterlich starb am 10. dezember 2015 in brasilien.

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Uta Kühn: SURAMDILILS GEFOLGE UND ANDERE GESCHICHTEN VOM LEBEN

Uta über sich:

Ein Mensch eine Frau auf dem Weg, auf der Suche, ständig lernend und gelerntes weitergebend. Literatur und Kunst sind für mich vor allem Kommunikation durch alle Zeiten. Ich glaube daran dass sie sich wie Schneebälle multiplizieren können und unsere Welt ein wenig lichter machen. Genau wie mit Liebe und Können gebackene Brötchen oder gut gebaute Tische und ein gutes Gespräch. Für mich finden sie Ausdruck im Tanz, der Literatur und in gemalten Bildern, aber auch beim Kochen und im Gespräch mit einem Kind. Alles ist offen.

Siehe auch im hauptmenü die galerie INDISCHE WEGE - HERZWEGEsowie bei den büchern den von uta herausgegebenen gedichtband von GIULIANO ASTI.

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VOR DER ZERSTÖRUNG DER BILDER - Felix, ein maler im internat

(Herausgeber: mondrian v. lüttichau)

Der 10-12jährige felix war Der Maler in der internatskommune, von der in 'WIR INTERNATLER' berichtet wird. Seine bilder waren botschaften aus einer tiefe, an der er wohl niemanden teilhaben ließ. Sein weggang vom internat bedeutete die zerstörung der bilder, denn in die außenwelt konnte oder wollte er diese kreativität nicht mitnehmen.

Bei felix geht es um innere bilder, um rhythmen und muster des lebens, um kreisläufe und verflechtungen, es geht um begegnung und gemeinschaft und monadische beziehungslosigkeit.. - es geht durchaus um unsere welt.

Sensibilität, kreativität und phantasie jenseits der wörter, im unvermittelten gewahrwerden des lebens, gehört natürlicherweise zum menschen. In der erwachsenenwelt bleibt kaum mehr etwas davon übrig. Die (inneren) bilder werden zerstört - und wir zerstören sie allzuleicht selbst, und nennen das "erwachsenwerden". Ersetzen sie durch begriffe, definitionen - und die bilder von konsumindustrie und werbung.

In den allermeisten in der internatskommune entstandenen bildern und zeichnungen ist etwas von jener unmittelbaren wahrheit des lebens, jenseits der wörter, zu spüren. Felix war jedoch der einzige, der über zwei jahre lang momente seiner empfindung für die welt konsequent umgesetzt hat. Wenn er auch kein künstler "geworden ist", - als 10- bis 12jähriger war er es zweifellos.

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WAHRHEIT DER SEELE – Ida v. Lüttichau (1798-1856)

ERSTER BAND + ERGÄNZUNGSBAND

Herausgegeben von mondrian v. lüttichau & petra bern

Dresden im vormärz. - Hoftheater mit verfeindeten künstlerischen koryphäen und stars, unter dem einfluß von kirche, hof und bürgertum. Zerstörte menschenleben und komplizierte ideologische fronten der revolutionszeit. - Ida v. lüttichau ist die frau des dresdner hoftheater-intendanten, vertraute des dichters ludwig tieck und dessen tochter dorothea, des universalgelehrten carl gustav carus und des historikers friedrich v. raumer. Früh tritt sie für richard wagners musik ein. Tod dreier kinder, lebenslang chronische schmerzen, ein zwiespältig-bürokratischer ehemann, von vielen verehrt wie eine heilige: Wer war diese frau? - Erst im überschauen des verstreuten schriftlichen nachlasses sowie von zeugnissen der zeitgenossInnen wird ihr stetes bemühen um achtsamkeit für feinste lebensregungen in sich und anderen deutlich. Idas grundlegende haltung dem leben gegenüber war ein horchen nach innen, um dort existenzielle antworten zu finden. Diese orientierung an der eigenen mitte entfaltete sich angesichts der vom leben an sie herangetragenen aufgaben in dresden zu umfassender tiefgründigkeit auch gegenüber der sozialen außenwelt.

Hinter dem bemühen, ida v. lüttichaus vermächtnis jetzt, 150 jahre nach ihrem tod, ans tageslicht zu bringen, steht die überzeugung, daß wir menschen wie sie unbedingt brauchen: als anstoß, als orientierung und vorbild zu menschenwürdigem leben - gegen verdinglichung unseres seelenlebens und instrumentalisierung der natur um uns.

Erster Band:
In dieser dokumentation sind nahezu alle zu verschiedenen zeiten verstreut veröffentlichten texte und zitate ida v. lüttichaus gesammelt, außerdem alle relevanten zeitgenössischen erinnerungen an sie. Dazu kommen einige hier erstmals veröffentlichten tagebuchaufzeichnungen und briefe sowie ein vorwort des herausgebers MvL. (Korrigierte und ergänzte neuauflage im januar 2017)

Ergänzungsband:
In seinem mittelpunkt stehen erstveröffentlichungen von handschriften (transkribiert für diese ausgabe von petra bern). Das sind tagebuchaufzeichnungen idas, sämtliche erhaltenen briefe an idas engen freund, den historiker friedrich v. raumer sowie auszüge aus tagebüchern einer jugendfreundin (johanne friederike v. friesen) sowie von briefen dorothea tiecks (an friedrich v. uechtritz). Aber es gibt dort noch anderes zu entdecken..

Übrigens: Die denkmalgerechte restaurierung der gräber ida v. lüttichaus und ihrer familie auf dem dresdner trinitatis-friedhof ist abgeschlossen! -Inzwischen wurde auch die direkt danebenliegende grabstätte von carl gustav carus restauriert.

Walther Küchler: ARTHUR RIMBAUD / BILDNIS DES DICHTERS

Arthur Rimbaud bei Autonomie & Chaos, Teil III

Die Rimbaudübersetzungen Walther Küchlers, erschienen 1946, werden bis heute nachgedruckt (derzeit bei S. Fischer), seine 1948 publizierte Monographie wird hier erstmalig wiederveröffentlicht. Küchlers philologisch fundierte Rimbaud-Übertragungen sind hilfreich beim Bemühen, den französischen Text zu lesen. Affektive und poetische Authentizität kommt jedoch bei Küchlers Versionen gelegentlich zu kurz. Seine Monographie bildet dazu eine glückliche Ergänzung! Hier stellt der Autor nuanciert und tiefgründig dar, wie er selbst das über die Worte Hinausgehende bei Rimbaud wahrgenommen hat. Sie erst zeigt Küchlers affektive, poetische, spirituelle Einfühlung in Rimbauds Seelenwelt, die gleichwohl Grundlage auch der Übertragung des Werkes war, – wo Küchler sich jedoch dem Prokrustesbett der philologischen Redlichkeit anschmiegen wollte.

"Wenn man Rimbaud am nächsten kommen will, muß man sich dem einsamen Wanderer, der er war, nähern und ihn bitten, ihn im Geist begleiten zu dürfen." (W.K.)

Der Romanist und Literaturwissenschaftler Walther Küchler (1877–1953) wurde bekannt auch für seine Übertragungen sämtlicher Dichtungen François Villons sowie der Prosadichtungen Baudelaires. Monographien erschienen auch über Molière und Ernest Renan. – 1933 versetzten die Nationalsozialisten ihn in den vorzeitigen Ruhestand.

Die Neuausgabe enthält einige Abbildungen, ein Nachwort des Herausgebers sowie einen Anhang mit folgenden Beiträgen:

  • Arthur Rimbauds Brief an Jules Andrieu (1874)
  • Hermann H. Wetzel: Chant de guerre parisien als Beispiel engagierter Dichtung
  • Roger Gilbert-Lecomte: Après Rimbaud la mort des arts
  • Dieter Wyss: Rimbaud und der Surrealismus
  • Thomas Bernhard über Arthur Rimbaud (1954)
  • Greta F.: Junkie
  • Patti Smith: An Rimbauds Grab
  • Arthur Rimbaud: UNE SAISON EN ENFER (1873) (Faksimile)

auc-146-kuechler-rimbaud (pdf 4,5 MB)

Walther Vetter: DER KAPELLMEISTER BACH

Versuch einer Deutung Bachs auf Grund seines Wirkens als Kapellmeister in Köthen

Die 1950 erschienene Monographie BACH ALS KAPELLMEISTER des Musikwissenschaftlers Walther Vetter (1891-1967) macht Johann Sebastian Bach als künstlerische Persönlichkeit auch für nichtfachliche Musikhörer greifbar in einer Weise, wie es streng philologischen, theologischen oder  geschichtswissenschaftlichen Arbeiten kaum je gelingt. Aus diesem Grund wird das Buch jetzt – 70 Jahre später – online wiederveröffentlicht.

Obwohl Vetters Argumentation den Bezug zur musikwissenschaftlichen Forschung nie verliert (zumindest empfinde ich als Laie dies so), entfaltet sie sich an vielen Stellen zu erfrischender essayistischer Freiheit, dies gerade dann, wenn er einen Zusammenhang aus prima vista inkompatibel erscheinenden Blickwinkeln beleuchtet.

Als Autor musikwissenschaftlicher Auseinandersetzung dürfte Vetter nur noch der Wissenschaftsgeschichte angehören; für mich (der ich Musik nur ganz naiv mit dem Herzen höre) wurde das Buch ein neuer Zugang zur Musik Johann Sebastian Bachs – und wohl auch zu ihrem Komponisten. Walther Vetters Monographie beschränkt sich nicht auf die notwendige musikwissenschaftlich-philologische Dimension. Er begibt sich auf die Suche nach dem Komponisten JSB in seinem künstlerischen Entwicklungsweg, der "schaffenspsychologischen" (Vetter) Dimension. Dies wird an unzähligen Stellen des Buches deutlich. Beispielsweise, wenn er die musikpädagogische Konzeption des Klavierbüchleins für Wilhelm Friedemann erläutert und dabei die Weiterentwicklung dortiger kompositorischer Ideen im Wohltemperierten Klavier einbezieht. Schon der vollständige Titel seines Werkes verweist ja darauf, daß es keineswegs nur um Köthen geht. Walther Vetters Aufmerksamkeit liegt deutlich auf dem gesamten Leben und Wirken Bachs.

Vier Beigaben enthält diese Neuausgabe: Texte des Theologen und Musikwissenschaftlers Friedrich Smend, der Bachforscherin und -interpretin Rosalyn Tureck, der Cembaloforscherin und -spielerin Eta Harich-Schneider sowie des Schriftstellers und Orgelbauforschers Hans Henny Jahnn: unterschiedliche Plädoyers, der sogenannten Alten Musik einen ihnen gemäßen Raum in unserer Zeit zu ermöglichen. Die Standpunkte ergänzen einander durchaus, auch wenn gelegentlich Unvereinbarkeiten im Vordergrund stehen mögen.

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