Heinz Brandt: EIN TRAUM, DER NICHT ENTFÜHRBAR IST

Leben für einen humanen Sozialismus …Heinz Brandt (1909–1986) war kommunistischer Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. 1934 wurde er zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, 1940 in das KZ Sachsenhausen überstellt. Von dort wurde er 1942 ins KZ Auschwitz deportiert. Nach der Evakuierung des KZ im Januar 1945 wurde Brandt in das KZ Buchenwald verbracht und erlebte dort die Befreiung. Nach 1945 wurde er SED-Funktionär, ab 1952 als Sekretär der Berliner SED -Bezirksleitung für Agitation und Propaganda.
Im Zusammenhang mit dem Aufstand vom 17. Juni 1951 kam er in Konflikt mit der stalinistischen Machtclique um Walter Ulbricht. (Diese Erfahrungen stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Buches.) 1958 floh Brandt in den Westen; 1961 wurde er während eines Kongresses in West Berlin in die DDR entführt, dort wurde er wegen "schwerer Spionage in Tateinheit mit staatsgefährdender Propaganda und Hetze im schweren Fall" zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Es folgten zwei Jahre Haft in der Sonderhaftanstalt Bautzen II. Eine weltweite Kampagne der IG Metall, von Linkssozialisten, Amnesty International und Bertrand Russell führte 1964 zu seiner Freilassung. Nach der Rückkehr in die Bundesrepublik stritt Brandt für einen humanen Sozialismus.

Die skandalöse, verbrecherische und spektakuläre Entführung Heinz Brandts durch Agenten des MfS war seinerzeit zweifellos der publikumswirksamste Aspekt des Buches; heute erkennen wir seinen Wert vorrangig in Brandts Insider-Zeugnissen zur frühen DDR-Geschichte. Aber auch die Erinnerungen an seine Kindheit in der jüdischen Familie (in Posen), vor und im ersten Weltkrieg, und als Kämpfer gegen die NS Diktatur (bereits lang vor 1933), die Gefangenschaft in den Zuchthäusern Luckau und Brandenburg sowie den KZ Sachsenhausen, Auschwitz und Buchenwald sowie zum politischen Antisemitismus in der Sowjetunion wie in der DDR, auch der beeindruckende Einblick in Machtkämpfe innerhalb der damaligen politischen Führung von Sowjetunion und DDR sowie Brandts Beteiligung an den Ereignissen um den 17. Juni 1953 gehören zu den bedeutenden Zeugnissen in diesem Buch. Brandts luzide Kritik der politischen Entwicklung Rußlands (vom Zarenreich über die Oktoberrevolution bis zum Stalinismus) zeigt sich heute, spätestens mit Wladimir Putins großrussischen Halluzinationen und seinem verbrecherischer Krieg gegen die Ukraine, als weiterhin relevant, wenn auch der Versuch einer Revolution von oben durch Michail Gorbatschow die gesellschaftlichen Ressourcen für eine menschengemäßere Entwicklung der russischen Gesellschaft deutlich gemacht hatte.

Die polit-strategischen und -taktischen Abläufe, die Heinz Brandt aus der Frühzeit der DDR nuanciert nachvollziehbar macht, gab es nicht nur dort und in der Sowjetunion: sie sind wesentlicher Aspekt des machttaktischen Normalität immer und überall, natürlich auch heutzutage. Deswegen können wir aus dieser Darstellung historischer Vorgänge lernen, können Sensibilität entwickeln für derartige machtorientierte Rhetorik: in den Verlautbarungen der heutigen Politiker, in den Medien, im Arbeitsleben und gelegentlich auch im privaten Alltag.

Dieser autobiographischer Bericht erschien ursprünglich 1967 im Paul List Verlag München, dann 1977 in Andreas Mytzes verlag europäische ideen. Die bisher letzte Buchhandelsausgabe erschien 1985 im Fischer Taschenbuch Verlag. Diese erweiterte Taschenbuchausgabe (1985) wird jetzt (2022) als online-Ausgabe (zum kostenfreien Download) neu herausgegeben. Dazugekommen sind Literaturempfehlungen des Herausgebers.

(Aus dem Nachwort 2022)

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Moshe Zalcman: ALS JÜDISCHER ARBEITER IN POLEN UND IM STALINISTISCHEN GULAG

Jüdischkeit in Europa – damit verbinden sich uns meist Lebensberichte, Zeugnisse und Erzählungen mehr oder weniger "assimilierter" Juden und Jüdinnen in Westeuropa. "Ostjuden" tauchen eher als undifferenzierte Kategorie mit für uns seltsamem Habitus auf. Bis heute sehr verbreitet sind die Stereotypien des Händlers und des traditionell religiösen Juden, schwarzgekleidet, mit Kippa und Stirnlocken. Moshe Zalcmans Bericht zeigt uns eine völlig andere Welt osteuropäischer Jüdischkeit!

Das Buch verbindet Zalcmans mitreißend erzählte Lebensgeschichte zunächst mit einer unglaublichen Fülle an Informationen zur Situation der jüdischen Bevölkerung in Polen vor 1933. Ein roter Faden des gesamten Buches sind detaillierte Hinweise auf Aktivist*innen der damaligen jüdischen Arbeiterbewegung in Polen und Sowjetrußland. Zalcman erinnert an unzählige jüdische Opfer der stalinistischen Terrors, nennt ihre Namen, skizziert ihr Leben und ihr Leid. Sein Buch ist ein wichtiges und zumindest deutschsprachig durch nichts zu ersetzendes Zeugnis zu diesem sonst wohl wenig beachteten Kapitel in der Geschichte des europäischen, speziell osteuropäischen Judentums, das trotz seiner Orientierung an den religiösen Formen integriert war ins soziale Leben der nichtjüdischen Umgebung (wobei Zalcman hier vorrangig von seiner Heimatstadt Zamość berichtet), in verschiedensten Berufen und eben auch im politischen Engagement. Eine Kehrseite ist jedoch der in Polen und Rußland damals immer wieder aufflammende Antisemitismus, manchmal geschürt aus politischen Gründen, immer mit bösen, tödlichen Folgen.

Nicht weniger detailgenau und zugleich ergreifend nachfühlbar erzählt geht es im zweiten Teil um Zalcmans Schicksal ab 1933, in Sowjetrußland, wo er mitarbeiten wollte am Aufbau einer menschenwürdigen "neuen" Gesellschaft. Dieses Engagement führte für Zalcman in Stalins paranoidem Staatssystem zu Verhaftung, Gefangenschaft, Folterung, Zwangsarbeit(1937-47) und Verbannung(1948-56).

Zalman berichtet von ökonomischen und alltäglichen Lebensumständen der Bevölkerung in Rußland, in Sibirien und (für die Zeit nach 1948) in Georgien. Wir erfahren nuancierte (auch strukturelle, sozialpsychologische) Einzelheiten zu Leid, Tod und zum Überleben unter menschenunwürdigen, von bürokratischer Indolenz, Machtmißbrauch, menschlicher Abstumpfung und Sadismus geprägten Umständen. Zalcman berichtet von entsetzlichen, kaum glaublichen bürokratisch-terroristischen Gewalttaten gegen einzelne Menschen. Insbesondere in Zalcmans Bericht aus seiner Zeit in Georgien (1948-56) wird sinnlich nachvollziehbar, wie der Alltag einer durch Korruption, Seilschaften, Bürokratenwillkür, Staatskapitalismus und organisiertes Banditentum der Funktionäre verkrebsten Gesellschaft abläuft.

Moshe Zalman (geboren 1909) hat seinen Lebensbericht auf Jiddisch geschrieben; im Jahr 1977 wurde er in französischer Übersetzung veröffentlicht. Eine deutsche Ausgabe erschien 1982 im Verlag Darmstädter Blätter. Während der Autor und sein Bericht in Frankreich bis heute medial präsent ist, wurde das Buch in der Bundesrepublik offenbar kaum zur Kenntnis genommen. Hier erscheint es in seiner ersten Neuausgabe.

Zum Thema Stalinismus siehe auch das bei A+C wiederveröffentlichte Buch von Victor A. Kravchenko: Als Funktionär im sowjetischen Stalinismus.

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Victor Kravchenko: ALS FUNKTIONÄR IM SOWJETISCHEN STALINISMUS

("I Chose Freedom", 1946)

Victor A. Kravchenko wurde geboren am 11. Oktober 1905 in Jekaterinoslaw (heute Dnipro/Ukraine); er starb am 25. Februar 1966 in Manhattan. Er war ein sowjetischer Ingenieur und späterer Handelsdiplomat in Washington, D.C., der dort 1944 um politisches Asyl gebeten hatte. Sein 1946 veröffentlichtes Buch I CHOSE FREEDOM war das erste umfassende Zeugnis zur terroristischen Bürokratie des sowjetischen Stalinismus jener Zeit. Es erregte weltweites Aufsehen und wurde in viele Sprachen übersetzt.

Für Menschen in westlichen Ländern, die damals oft in gläubiger Unbedingtheit an ihrem Ideal einer fortschrittlich menschenwürdigen Sowjetgesellschaft hingen, bedeutete Kravchenkos Zeugnis Skandal und Tabubruch – wogegen eine Vielzahl auch prominenter Intellektueller und Künstler mit allen Mitteln der medialen Öffentlichkeit Einspruch erhob. In einer kommunistisch orientierten französischen Zeitung erschien ein diffamierender Artikel, in dem nicht nur die Aussagen des Kravchenkobuches insgesamt bestritten, sondern auch der Autor in jeder nur möglichen Weise persönlich diffamiert wurde. Deshalb verklagte Kravchenko die Zeitung wegen Verleumdung. In einem ebenfalls aufsehenerregenden Prozeß (1949) wurde monatelang gestritten – nicht eigentlich um ein Buch oder Kravchenkos Persönlichkeit, sondern um die Situation im sowjetischen Staat!
Victor Kavchenkos Zeugnis in Verbindung mit dem von ihm angestrengten Prozeß (den er gewann) lenkte erstmals die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die menschenverachtenden, die mörderischen Zustände in der stalinistischen Sowjetunion.

Auf Grundlage des Prozesses konzipierte Kravchenko sein zweites buch: I CHOSE JUSTICE (New York 1950). Es bleibt wohl die gewichtigste Veröffentlichung zum Prozeß und ist zugleich eine bedeutende Ergänzung zum ersten Buch.
I CHOSE JUSTICE stellt den Pariser Prozeß, Kravchenkos Recherchearbeiten im Vorfeld und den grundsätzlichen Ablauf übersichtlich dar. Jedoch liegt der Schwerpunkt in Kravchenkos zweitem Buch deutlich auf den Zeugnissen der überlebenden Stalinismus-Opfer (sei es im Zusammenhang mit der Zwangskollektivierung oder der Verschleppung in Zwangsarbeitslager). Hier stand Gerechtigkeit für die schuldlosen Opfer dieses Regimes im Mittelpunkt – die vielleicht allenfalls durch das öffentliche Zeugnis, das Urteil der Geschichte möglich ist! Hier konnten Menschen einfach von dem Leid berichten, dem sie ausgesetzt waren und das sie vielleicht für den Rest des Lebens begleiten sollte – ohne kritische Befragungen und diskriminierende Zweifel. (Der Anhang der vorliegenden Veröffentlichung enthält eine kurzgefaßte Übersicht der ausführlicheren Zeugenaussagen sowie Namen vieler Opfer, die in jenem Buch genannt wurden.)

Spätestens nach dem russischen Überfall auf die Ukraine läßt sich die Frage nicht verdrängen, inwieweit es innere Verwandtschaften geben könnte zwischen dem sowjetischen Stalinismus (auch der Zeit nach Stalin) und dem von Wladimir Putin bestimmten aktuellen politischen System in Rußland. Ich meine, wir (im Westen) sollten uns bemühen, mehr zu verstehen von unserem Nachbarn Rußland, von der Entwicklung der russischen Gesellschaft, vom Lebensgefühl und Lebenssituation auch der dörflichen und kleinstädtischen Bevölkerung dieses größten Flächenstaates der Welt, um von daher den an der Entwicklung einer demokratischen Zivilgesellschaft in Rußland Interessierten solidarisch die Hand reichen zu können.

Victor Kravchenko lebte in den 50er Jahren meistens in Südamerika, wo er einen Großteil seines (durch die unzähligen Auflagen seines ersten Buches verdienten) Vermögens nutzte, um Silber- und Kupferminen zu finanzieren. Auch Projekte zur Organisation der armen Bauern in Genossenschaften scheint er dort unterstützt zu haben. Angeblich hatte er zunächst beträchtlichen Erfolg als Prospektor und Bergwerksunternehmer. Zeitweise hielt er sich in New York und auf der Ranch seiner Gefährtin Cynthia Earle in Arizona auf, bei seinen Söhnen Anthony und Andrew. Die Unternehmungen in Südamerika waren auf lange Sicht erfolglos, Kravchenko scheint deshalb viel Geld verloren zu haben.
In dieser Zeit erreichten ihn Gerüchte, daß seine Verwandten in den Lagern umgekommen seien.
Kravchenko hatte offenbar auf das mit Chruschtschow verbundene "Tauwetter" in der Sowjetunion gehofft. Dessen Sturz (1964) deprimierte ihn tief.
Am 25. Februar 1966 wurde Kravchenko mit einer Schußwunde in seiner Wohnung in Manhattan gefunden.

Kravchenkos Buch I CHOSE FREEDOM erschien auf Deutsch 1947 in Zürich, zwei Jahre später kam eine Ausgabe in Hamburg heraus, dann war Schweigen in der ja keineswegs kommunistenfreundlichen jungen BRD. Auf dem Hintergrund der kollektiv verdrängten NS-Vergangenheit tat sich die westdeutsche Öffentlichkeit möglicherweise besonders schwer damit, über eine menschenverachtende, terroristische Diktatur nuancierter nachzudenken.
Die hier vorliegende Ausgabe beim Verlag Autonomie und Chaos (2023) ist die einzige deutschsprachige Wiederveröffentlichung des Buches. (Demgegenüber gibt es zwei englische und eine französische Wiederveröffentlichungen.)

Der Anhang der vorliegenden Veröffentlichung enthält neben einer ausführlichen inhaltlichen Übersicht zu Kravchenkos zweitem Buch  einen Aufsatz des Historikers Sebastian Voigt (zur Bedeutung des Kravchenkoprozesses für die Dissidentin und GULAG- wie KZ-Überlebende Margarete Buber-Neumann), Exzerpte aus Veröffentlichungen von Swetlana Alexijewitsch (zur Situation im nach-sowjetischen Rußland) sowie von Arthur Koestler (einem seinerzeit prominenten Dissidenten). Von einer russischen Website stammt Alex Klevitskys Bericht zu Victor Kravchenkos nachgelassenem Archiv. Die Literaturliste enthält vor allem Hinweise zu autobiographischen und belletristischen Werken russischer und sowjetischer Autor*innen; auch auf Dokumentationen zu Kravchenkos Prozeß sowie andere Arbeiten zum Thema Stalinismus wird im Anhang hingewiesen. Die Neuveröffentlichung enthält außerdem Fotos aus dem Prozeß sowie ein Nachwort des Herausgebers (MvL), in dem mögliche Kontinuitäten der russischen Gesellschaft (von der Zarenzeit bis zum Putin-Regime) zur Diskussion gestellt werden.

Zum Thema "Stalinismus" siehe auch das bei A+C wiederveröffentlichte Buch von Moshe Zalcman: Als jüdischer Arbeiter in Polen und im stalinistischen GULAG.

!- Grundlegender Widerspruch der "Söldnergruppe Wagner" zu den taktischen Begründungen des Putin-Regimes für den Krieg gegen die Ukraine! (23./24.6.23) ! - Der Anführer der Gruppe (Jewgeni Prigoschin) kam bei einem ungeklärten Frlugzeugabsturz ums Leben (August 2023).

! - Der oppositionelle Politiker Alexei Anatoljewitsch Nawalny ist seit 2021 inhaftiert und muß eine mehrjährige Gefängnisstrafe absitzen. Im August 2023 wurde ein weiteres Urteil gegen Nawalny bekannt gegeben und die Zeit im Straflager auf 19 Jahre Haft erhöht.- !  Kam im Februar 2024 im Gefängnis ums Leben.

 

 

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