Angela Stachowa: GESCHICHTEN AUS DER DDR

Neu im Dezember 2023

Angela Stachowa (1948–2022) war eine deutsch-sorbische Schriftstellerin und Politikerin.
Nach der Abiturprüfung 1967 an der Sorbischen Oberschule in Bautzen und einer Lehre als Fernmeldetechnikerin absolvierte sie ein Studium an der TU Dresden, das sie 1972 als Diplom-Ingenieurökonomin mit der Spezialisierung Elektrotechnik/Elektronik abschloß. Von 1973 bis 1976 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Danach arbeitete sie als freiberufliche Schriftstellerin. Angela Stachowa war von 1972 bis 1989 Mitglied der SED. Vom 20. Dezember 1990 bis 10. November 1994 war sie für eine Wahlperiode Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie wurde als Parteilose für die PDS/Linke Liste über die Landesliste Sachsen ins Parlament gewählt. Während der Legislaturperiode trat sie am 15. Juni 1994 aus der PDS-Fraktion aus, behielt aber ihr Mandat als Fraktionslose.
Angela Stachowa lebte (zunächst mit ihrem Sohn) in Leipzig. Seit 1996 erschienen nur noch Veröffentlichungen in sorbischer Sprache.

Im Mittelpunkt der Erzählungen stehen meist junge Frauen. Stachowas Geschichten berühren in ihrer genauen und solidarischen Darstellung subtiler Empfindungen und schwieriger Alltagssituationen, unmittelbar und unprätentiös erzählt. Hautnah an den Menschen dran sind diese Geschichten – und doch an jeder Stelle in tiefer Achtung vor der Eigenheit der Person, die dargestellt wird. In Achtung auch vor dem nicht anders Können, dem Versagen. Wir sind eben doch jedem Achtung schuldig dafür, daß er oder sie ihr Leben zu leben versucht, Tag für Tag.
Angela Stachowas lakonischer, seltsamerweise gleichwohl spannender Bericht über alltägliche, fast beliebige Tatsachen und Handlungen regt die Einfühlung in die jeweilige Situation an – und damit in das (vermutliche) Empfindungen der Protagonist*innen. Dazu paßt auch ihr eigenartiger, an gesprochener Umgangssprache orientierter Stil.

Quelle der hier gesammelten Geschichten sind mehrere Erzählungsbände Angela Stachowas aus den Jahren 1975 bis 1982.
Hinzugefügt wurde eine möglichst vollständige Bibliografie selbständiger Veröffentlichungen der Autorin, ein Aufsatz von Christel Hildebrandt von 1984, ein TAZ-Artikel zum Thema Sorben (von 1991), fünf Porträtbilder der Autorin sowie einige Fotografien, die in den Jahren nach 2000 in der (ehemaligen) DDR entstanden sind.

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ANGEPASST ODER MÜNDIG? – Briefe an Christa Wolf im Herbst 1989

Unter dem polemischen Titel Das haben wir nicht gelernt veröffentlichte Christa Wolf in der DDR-Wochenzeitschrift WOCHENPOST (Nr. 43/1989) einen Artikel, mit dem sie, wie sie selbst schreibt, "eine erste Annäherung an das Thema Jugend" beabsichtigte. Sie benennt darin Ursachen für die Identitätskrise junger Menschen in der DDR, die vor allem seit dem Beginn der massenhaften Ausreise im Sommer 1989 — der "Abstimmung mit den Füßen" — nicht mehr aus dem öffentlichen Bewußtsein zu verdrängen war. Die Autorin hinterfragt Anspruch und Wirklichkeit bisheriger Bildungs- und Erziehungspolitik, konstatiert gravierende Versäumnisse — alles in allem ein Befund, der betroffen machte. Die Reaktion waren um 300 Briefe von DDR-BürgerInnen an die WOCHENPOST, – zustimmende, ablehnende, Erfahrungsberichte, Trauer, Resignation – die meisten aus dem Blickwinkel von pädagogischen MitarbeiterInnen, SchülerInnen oder Eltern. 170 dieser Briefe wurden in einer Dokumentation gesammelt, die 1990 im VERLAG VOLK UND WISSEN erschien.

Das Buch ist eines der bedeutendsten Zeugnisse der Endzeit der DDR, ein exemplarisches Stück oral history – aber wurde nie mehr neu herausgegeben! So genau wollte das alles wohl niemand mehr wissen.
Die Dokumentation wird jetzt bei A+C neu veröffentlicht, wegen ihrer historischen Bedeutung als Digitalisat (Faksimile).
Ergänzt wird sie durch Tagebuchauszüge aus den Monaten Oktober bis Dezember 1989, in Berlin (Autor: Mondrian v. Lüttichau).

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Christa Anna Ockert: L-TAGE oder: "HITLER WIRD NICHT BEDIENT!"

Was sagen Sie dazu?
           Ich hatte viele Namen.

Fremde in meiner Kindheit konnten nur sehen, wie klein ich war, und sagten Mausi oder Mäuschen. (Großmutter, die mich kannte und nicht unterschätzte, nannte mich so vor dem Kindergarten.)
Ich habe mich früh wie später nicht, wie anzunehmen wäre, in Mauselöcher verkrochen …! Die Pohlings riefen noch "de Kleene", als ich den Lehrlingsschuhen entwachsen war. Doch Mäusel mit sächsischem Zwielaut flüsterte und schmetterte mein geliebter zweiter Mann.
Mutter machte keine Umstände und sagte – wie manche meiner Kolleginnen und Bekannten – Christa. Durch Giga, die Liebkosung meines Bruders Harald vor seiner Schulzeit, war ich hellhörig für das, was im Elternhaus fehlte…
Ich hüpfte in den dreißiger Jahren an Vaters Hand durch Leipzig: Für Kurt Röller und andere seiner Freunde wurde ich Huppegra.
Werner, mein niemals alternder Onkel und erster Märchenprinz, taufte meinen Bruder Claus und mich im Doppelpack – Gustav und Gustl!
Christel war der eingängige Schnörkel von Frauen, die mich so oder so mochten; Nachbarinnen unseres ersten, ausgebombten Hauses oder Mutter Just, Annette T. Rubinstein, Tante Martha und Ruth Schreier. Christeline zupft – sozusagen – liebevoll am Ohr oder wickelt eine Locke um den Finger; wie mein Vater, Tante Käthe und Oberschwester Margarethe.
Das Kurzwort der Schneidereits, meines Verehrers Conny Odd und meines lieben Hary fährt wie ein Cabrio mit offenem Verdeck – Chris! Ich habe Sportsgeist! (Behörden und Passanten wechselten meine Nachnamen wie Reifen: Pietscher, Greschke, Ockert.)
Für Roland, der als Junge Mutti sagte, bin ich Mutter. Wie hätte mich mein Enkel Daniel genannt?

Lernen wir, wenn wir in einen Himmel (oder so etwas) kommen, den Namen kennen und sprechen, den wir uns selbst im tiefsten Herzen gaben…?

Christa Anna Ockert  (9. Dezember 1932 – 22. Oktober 2017)

Christa Anna Pietscher wurde in Leipzig geboren und schloß hier zunächst eine Ausbildung  als Schreibkraft ab. Während ihrer darauffolgenden langjährigen Verwaltungstätigkeit im Uniklinikum Leipzig absolvierte sie ein Studium zum Diplom-Ökonom.
Ab Mitte der 70er Jahre war sie beim VEB Interdruck Leipzig Leiter der Wirtschaftskontrolle.
Die Autorin hatte einen Sohn aus erster Ehe. Ab den 80er Jahren war Frau Ockert in zweiter Ehe mit Erich Ockert verheiratet,  dem damaligen Ersten Solopaukisten  des Gewandhaus Leipzig.
Zur Wendezeit zog das Ehepaar nach Westdeutschland.
Als Witwe lebte Christa Anna Ockert mit ihrem letzten Lebenspartner Hary Guttman in Esslingen/Neckar.
Begraben ist sie in Leipzig.

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Detlev Walter Schimmelsack: GEDANKEN WERTE UNWERTE FLIEGEN LASSEN. Neue Gedichte

"Die Texte sind voller Einsamkeit und Sehnsucht und gleichzeitig getragen von Versuch, stark und allein zu stehen und nichts mehr zu hoffen. Der Dichter beschwört in den Gedichten seine Autonomie und doch macht er sich gerade dadurch verletzlich und abhängig. Die Gedichte sind getragen von dem Gefühl der Ausgrenzung, dem Wunsch dazuzugehören und gleichzeitig der Hoffnung, auch im anders zu sein Anerkennung zu finden. (…)
Es sind Gedichte zwischen Ausgrenzung und Einengung. Zwischen der Sehnsucht nach menschlicher Nähe und dem Wunsch, von dieser Nähe unabhängig zu sein. Zwischen Hoffnung und Selbstaufgabe. Vom Verirren und der Hoffnung heimzukehren. Gedichte, die berühren und verstören."(Aus dem Nachwort von Dr. Birk Eggers)

Diese veröffentlichung wurde herausgegeben von der SÄCHSISCHEN GESELLSCHAFT FÜR SOZIALE PSYCHIATRIE (SGSP e.V.)

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Heike Skrabs: PAUSENSPIEL

Diese 1989 in der DDR erstveröffentlichten Erzählungen handeln von Kindern und Jugendlichen zwischen dem Bemühen, ihr Eigenes in der sozialen Umgebung zu bewahren und zu entfalten – und den teilweise längst verinnerlichten Mechanismen der (Selbst-)Konditionierung. In Kindheit und Jugend kollidiert beides noch, oft in subjektiv unlösbarer Weise, führt dann zu tiefgreifender Irritation und Identitätsdiffusion, zu Scham, Demütigung, Hilflosigkeit, Unterwürfigkeit oder Stolz. Bei Erwachsenen haben sich solche Störfaktoren der Normalität meist abgeschliffen.

Die Autorin Heike Skrabs steht offensichtlich durchgängig auf der Seite marginalisierter und gesellschaftlich ausgegrenzter Menschen, – generell: der Schwächeren, und zu denen gehören in jedemfall die Kinder (zumindest so lange, bis sie gesellschaftskonform sozialisiert sind).

Ihre Geschichten spielen in der von kleinbürgerlichen Konventionen geprägten Welt kleiner Städte der DDR Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Oft geht es um das Dickicht der familiären Interaktion: Kontrollbedürfnisse, Schuldgefühle, Geborgenheitsbedürfnisse, Abgrenzungsbedürfnisse, Überforderung – all dies bei Kindern wie Eltern. Jedoch stehen diese alltäglichen Konflikte bei Kindern/Jugendlichen meist für etwas Grundsätzlicheres: sie sind Schritte in die Welt hinaus, und jede Erfahrung, die Kinder mit der Welt machen, hat zugleich symbolische Bedeutung: So ist es auf der Welt! So sind die Menschen (die Erwachsenen)!

Es sind ganz normale Situationen und Probleme in der normalen Alltagswelt "ganz normaler" Leute – aber Heike Skrabs läßt die Untiefen dieser Normalität aufscheinen, auch dies ohne Lösungen, ohne "Happy end". Es ist einfach so. Die meisten geschilderten Konstellationen sind uns altvertraut; dennoch ist es nötig, solche Zusammenhänge immer neu zu erzählen, in ihren unterschiedlichen Facetten. In jeder Generation neu muß die Frage gestellt werden: Was ist eigentlich "Normalität"? Wo endet ihr Recht? Auf welche Weise kann die individuelle Eigenart sich entfalten, die mit jedem Neugeborenen auf die Welt kommt?

Was meint "Pausenspiel", der Titel einer der Geschichten wie des Buches? – eine Pause wovon? vom alltäglichen Leben in Familie, Schule oder Arbeit? Möglicherweise entfaltet sich das wirkliche, das existentielle Leben von jungen Leuten nicht selten gerade in solchen Pausen, die der angeblichen "Realität" mit dem Blick auf die Uhr abgerungen werden müssen. Und ist "Spiel" (zumal unorganisiertes, nichtkollektiviertes Spiel – wir sind in der DDR!) denn etwas Nebensächliches?

Die Gewalt der öffentlichen Sozialisation (Meinungsmache, Vorurteile, Diffamierungen und Unterstellungen, bösartige Phantasie) zeigt die Autorin besonders deutlich in "Hinter sieben Bergen", der Geschichte eines schwulen Coming out. Die Erzählung gehört zu den seltenen literarischen Darstellungen zum Thema Homosexualität in der DDR.

"Das Leben" ist die zeitlose Geschichte einer existentiellen Grenzsituation. Aus ihm könnte unbedingt ein Film werden.

Heike Skrabs wurde 1961 in Bad Liebenstein geboren und verbrachte ihre Kindheit in Thüringen und Mecklenburg. Sie lebt in Rudolstadt.

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Heinz Brandt: EIN TRAUM, DER NICHT ENTFÜHRBAR IST

Leben für einen humanen Sozialismus …Heinz Brandt (1909–1986) war kommunistischer Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. 1934 wurde er zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, 1940 in das KZ Sachsenhausen überstellt. Von dort wurde er 1942 ins KZ Auschwitz deportiert. Nach der Evakuierung des KZ im Januar 1945 wurde Brandt in das KZ Buchenwald verbracht und erlebte dort die Befreiung. Nach 1945 wurde er SED-Funktionär, ab 1952 als Sekretär der Berliner SED -Bezirksleitung für Agitation und Propaganda.
Im Zusammenhang mit dem Aufstand vom 17. Juni 1951 kam er in Konflikt mit der stalinistischen Machtclique um Walter Ulbricht. (Diese Erfahrungen stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Buches.) 1958 floh Brandt in den Westen; 1961 wurde er während eines Kongresses in West Berlin in die DDR entführt, dort wurde er wegen "schwerer Spionage in Tateinheit mit staatsgefährdender Propaganda und Hetze im schweren Fall" zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Es folgten zwei Jahre Haft in der Sonderhaftanstalt Bautzen II. Eine weltweite Kampagne der IG Metall, von Linkssozialisten, Amnesty International und Bertrand Russell führte 1964 zu seiner Freilassung. Nach der Rückkehr in die Bundesrepublik stritt Brandt für einen humanen Sozialismus.

Die skandalöse, verbrecherische und spektakuläre Entführung Heinz Brandts durch Agenten des MfS war seinerzeit zweifellos der publikumswirksamste Aspekt des Buches; heute erkennen wir seinen Wert vorrangig in Brandts Insider-Zeugnissen zur frühen DDR-Geschichte. Aber auch die Erinnerungen an seine Kindheit in der jüdischen Familie (in Posen), vor und im ersten Weltkrieg, und als Kämpfer gegen die NS Diktatur (bereits lang vor 1933), die Gefangenschaft in den Zuchthäusern Luckau und Brandenburg sowie den KZ Sachsenhausen, Auschwitz und Buchenwald sowie zum politischen Antisemitismus in der Sowjetunion wie in der DDR, auch der beeindruckende Einblick in Machtkämpfe innerhalb der damaligen politischen Führung von Sowjetunion und DDR sowie Brandts Beteiligung an den Ereignissen um den 17. Juni 1953 gehören zu den bedeutenden Zeugnissen in diesem Buch. Brandts luzide Kritik der politischen Entwicklung Rußlands (vom Zarenreich über die Oktoberrevolution bis zum Stalinismus) zeigt sich heute, spätestens mit Wladimir Putins großrussischen Halluzinationen und seinem verbrecherischer Krieg gegen die Ukraine, als weiterhin relevant, wenn auch der Versuch einer Revolution von oben durch Michail Gorbatschow die gesellschaftlichen Ressourcen für eine menschengemäßere Entwicklung der russischen Gesellschaft deutlich gemacht hatte.

Die polit-strategischen und -taktischen Abläufe, die Heinz Brandt aus der Frühzeit der DDR nuanciert nachvollziehbar macht, gab es nicht nur dort und in der Sowjetunion: sie sind wesentlicher Aspekt des machttaktischen Normalität immer und überall, natürlich auch heutzutage. Deswegen können wir aus dieser Darstellung historischer Vorgänge lernen, können Sensibilität entwickeln für derartige machtorientierte Rhetorik: in den Verlautbarungen der heutigen Politiker, in den Medien, im Arbeitsleben und gelegentlich auch im privaten Alltag.

Dieser autobiographischer Bericht erschien ursprünglich 1967 im Paul List Verlag München, dann 1977 in Andreas Mytzes verlag europäische ideen. Die bisher letzte Buchhandelsausgabe erschien 1985 im Fischer Taschenbuch Verlag. Diese erweiterte Taschenbuchausgabe (1985) wird jetzt (2022) als online-Ausgabe (zum kostenfreien Download) neu herausgegeben. Dazugekommen sind Literaturempfehlungen des Herausgebers.

(Aus dem Nachwort 2022)

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Jeannette Lander: AUS MEINEM LEBEN

Jeannette Lander (1931-2017) war Tochter eines in die USA ausgewanderten polnisch-jüdischen Ehepaars. Sie wuchs mit Englisch und Jiddisch als Muttersprachen auf. Ab 1934 lebte die Familie in einem vorwiegend von Afroamerikanern bewohnten Viertel von Atlanta (Georgia).
1960 übersiedelte Jeannette Lander nach BERLIN und studierte Anglistik und Germanistik an der Freien Universität. 1966 promovierte sie dort mit einer Arbeit über William Butler Yeats. Sie veröffentlichte von nun an als freie Schriftstellerin ausschließlich in deutscher Sprache.
Von 1984 bis 1985 hielt sie sich in Sri Lanka auf. Ab 1995 lebte Jeannette Lander im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg; ab 2007 war sie  im brandenburgischen Landkreis Havelland ansässig.

2017 erschien in Kooperation mit der Autorin eine Neuausgabe ihres ersten Romans (EIN SOMMER IN DER WOCHE DER ITKE K.) bei A+C online.

In den Jahren 2011-2014 arbeitete Jeannette Lander an Lebenserinnerungen, die jedoch nur in einem Privatdruck (ohne ISBN) veröffentlicht wurden. AUS MEINEM LEBEN erscheint hier erstmalig als Ausgabe mit ISBN, online und zum kostenfreien Download.

Für Jeannette Lander war Kreativität ganzheitlich und alltäglich, sie ließ sich ein auf Möglichkeiten, Phantasie und Wagnisse. Ihre Bereitschaft zu spontanen Entscheidungen führte zu einem von Umschwüngen und Wechselduschen geprägten Leben, das in ihren Erinnerungen deutlich wird.
Lander schreibt diese Erinnerungen al fresco: als hätte sich alles vor kürzester Zeit zugetragen, als säße sie neben uns und erzählte, wie es in ihr aufsteigt. Manche Einzelheiten wären an sich belanglos – hier aber tragen sie bei zur Färbung, zur Atmosphäre, zur mitmenschlichen Nähe, die sich einstellt bei Lesen. Aber auch Momente der Persönlichkeit, der Lebenshaltung Jeannette Landers lassen sich ahnen. Oft liegt der Sinn (die Botschaft) einer Anekdote ganz in Zwischentönen, die leicht überlesen werden können in ihrem locker-anekdotischen Erzählen. Noch beim mehrfachen Lesen zeigen sich in diesen redlichen, genauen, aber zugleich locker skizzierten Erinnerungen Momente, die zu Motiven ihres Werks geworden sind.

Die Unverblümtheit, mit der Jeannette Lander in diesen Erinnerungen, mit über 80 Jahren, von ihrem Lebensweg auch anhand deprimierender Alltagserfahrungen und persönlichster, ja intimer Empfindungen und angreifbarer eigener Verhaltensweisen berichtet, lese ich nicht zuletzt als Manifest ihrer letztlichen Befreiung aus dem Prokrustesbett der gesellschaftlichen Konventionen darüber, was "man" (d.h. vielmehr: "frau"!) zu tun hat, um anerkannt zu sein. – "Das Private ist politisch!" war ein Blickwinkel, der vor allem durch die Frauenbewegung ab 1970 profiliert wurde und zweifellos auch Jeannette Landers politische Bewußtheit bestimmte.

Ein Lebensthema Jeannette Landers ist das Bemühen, das von Verdrängung und Vorurteil geprägte Verhältnis von "Opferjuden" und "Täterdeutschen" zu durchdenken. Vorschnelles Zuordnen von Schuldigen und Unschuldigen verweigert sie auch bei partnerschaftlichen Konflikten oder im Hinblick auf die bürgerkriegsähnlichen Umstände auf Sri Lanka.
Eine "Ethik der Analogie" wird Landers Arbeiten in dem hier im Anhang dokumentierten Aufsatz der Germanistin Katja Schubert zugeschrieben: gewaltförmiges Denken und Verhalten gehört zu uns Menschen, ist nicht beschränkt auf einzelne Gruppen oder Personen. Davon sollten wir ausgehen, um die Arroganz der Macht vielleicht zunehmend als solche ethisch zu diskreditieren, jenseits der Ideologien, mit denen sie sich jeweils verbrämt. Die Chancen menschenwürdigeren Verhaltens innerhalb oder am Rande solcher Gewaltzusammenhänge sind jeweils zu gewichten, zu stärken.

Neben allem anderen vermitteln Landers Erinnerungen nachdrückliche Einblicke in das Funktionieren der "Kulturindustrie" nach 1945, in das anscheinend selbstverständliche Zusammenspiel von Autor*innen, Institutionen, Verlagen, Finanzierungsmöglichkeiten, Medien und Leser*/Käufer*innen.

Die Lebenserinnerungen werden ergänzt durch zwei tiefgründige Veröffentlichungen zu Jeannette Lander: ein Interview mit der Autorin (Marjanne Goozé/Martin Kagel 1999) sowie einen Aufsatz von Katja Schubert (2012). Daneben wird eine Rezension Landers zu Doris Lessings Romanzylus KINDER DER GEWALT (in EMMA 1984) dokumentiert.

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Mondrian w. graf v. lüttichau: ELSTERN IN BERLIN

2., erweiterte auflage im oktober 2014.

Teil 1 + 2:

Aus dem tagebuch meiner ersten beiden jahre in westberlin (1984-86). Deutlich wird das ganz eigene lebensgefühl in dem von der mauer umschlossenen 'politischen gebilde', das - von innen gefühlt - kaum mehr mit der BRD zu tun hatte als mit frankreich oder holland. Dafür wurde ostberlin, die hauptstadt der DDR, bald zum untrennbaren teil meiner neuen heimat BERLIN. (Teil 2: "Anne F. nicht vergessen" kam in der 2. auflage hinzu.)

Teil 3:

Tagebuch der aufwühlenden zeit zwischen september und dezember 1989. Da saß ich in westberlin und habe atemlos, erschüttert und voller enthusiastischer spannung DDR-medien verfolgt und dann, vor allem nach dem 9.11., die täglichen veränderungen in ganz berlin miterlebt.

Teil 4:

Rund 500 bücher aus der DDR (und etliche filme) werden (mit bibliografischen angaben) aufgelistet, die zum großen teil schon jetzt vergessen sind. In ihnen ist viel vom lebensgefühl und vom alltag in der DDR bewahrt, - vielleicht mehr als in den wenigen allseits bekannten ('anerkannten') werken der DDR-belletristik. (Wurde für die 2. auflage ergänzt.)

Teil 5:

Textur des übergangs - fotos aus ost-berlin (1998-2000). (Neu in der 2. auflage.)

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Paul Kanut Schäfer: JADUP

... DIE HÖLLENFAHRT EINES HELDEN UNSERER TAGE, NEBST DEM KUNSTSTÜCK, SICH MIT DEM LINKEN AUGE INS RECHTE ZU BLICKEN, WOBEI AUCH DIE ÜBRIGEN SINNE NICHT ZU KURZ KOMMEN, BESONDERS DER SECHSTE

Jadup – fast ein Schlüsselroman der DDR-Gesellschaft ist das, in ihrer traditionell spießbürgerlichen Variante der Kleinstädte und Dörfer zwischen 1945 und 1970, mit ihren durch spezielle staatstragende Ideologeme entstandenen spezielle Entfremdungsformen. Es ist ein bitter humoristisches, herzzerreißendes Buch über Fremdsein, Außenseiter-Sein, über ganz normalen zwischenmenschlichen Verrat, über Vergewaltigung und Trägheit des Herzens im alltäglichen Normendruck.Subtile Momente der Dissonanz durchziehen sämtliche Szenen dieses Romans, der eigentlich eher eine Parabel ist. In ihrem versponnen-skurrilen Klang erinnert (mich) die Geschichte an E.T.A. Hoffmann. Manches kommt rüber wie ein innerer Monolog des Autors. Wie nebenbei scheinen in dieser Melange unzählige Momente der ländlichen DDR-Alltags jener Zeit auf, Kneipenkalauer, dramaturgische Kabinettstücke und DDR-hopperistische Szenerien gehen ineinander über, hintergründig irisierend zwischen realistisch und surrealistisch. Andere Formulierungen empfand ich wie ein Schattenboxen mit imaginierten Funktionären der Genehmigungsorgane. – Die vielfältige Fremdheit all dieser Versatzstücke ist eingebettet in den Anfang 1945 bis in die 60er Jahre der DDR. "Die Leute fingen an, ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen. Wie unglaublich sie sich mühten, endlich den Zusammenhang zu begreifen zwischen ihrem täglichen Kleinkram und der großen Politik!"

Auch um das sozale und psychologische Phänonen von Gerüchten geht es und um ihre zerstörerische Wirkung sowie – nicht zuletzt – um die Vergewaltigung eines vierzehnjährigen Mädchens – und wie die Menschen in der dörflichen Kleinstadt damit umgehen.

Paul Kanut Schäfers "Jadup" gehört zweifellos zu den bedeutenden belletristischen Werken der DDR-Gesellschaft. Hier bricht soziale, gesellschaftliche Realität in großer Wahrhaftigkeit hervor. Eine seltene Schöpfung!

Schäfers lebenslange Beschäftigung mit Alexander v. Humboldt führte zur Zusammenarbeit mit dem Regisseur Rainer Simon; es entstand  - noch in der DDR - der Film DIE BESTEIGUNG DES CHIMBORAZO (1989); 1992 veröffentlichte Paul Kanut Schäfer  (1922–2016) eine umfassende Dokumentation der Reiseberichte und Tagebücher Alexander v. Humboldts (teilweise als Erstveröffentlichung):  "Die Wiederentdeckung der Neuen Welt" (1992). 

Ebenfalls mit Rainer Simon entstand 1980/81 nach dem hier wiederveröffentlichten  Roman der Film JADUP UND BOEL. Erwurde trotz Überarbeitung nach seiner Fertigstellung 1981 verboten. Dieses Verbot wurde erst 1988 aufgehoben, sodaß der Film doch noch in der DDR uraufgeführt wurde. Er kam allerdings nur mit wenigen Kopien in den Verleih, weshalb das breite Publikum kaum eine Chance hatte, ihn zu sehen.

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Ulrich Acksel: SCHNURREN UND SCHNAKEN AUS DER LAUSITZ

Ein tiefsinniger eulenspiegel (jahrgang 1942) erzählt vom alltag in ostdeutschland und der DDR - aus seinem ganz eigenen blickwinkel: humorvoll und menschenlieb, aber auch eigenwillig und unbequem, als kreativer erlebnisgastronom (seit 1970! in der DDR!)ein begnadeter organisator zwischen SED-bürokratie, mangelwirtschaft und den allzumenschlichen untiefen in dem lausitzer städtchen. Ulrich acksels geschichten dürften selbst gelernte DDR-bürger erstaunen. Fein gewürzt mit einer prise magie und einem schuß ostalgie, zeigen sie kaleidoskopische sequenzen eines selbstbestimmten lebens - das jedoch immer wieder seinen preis gefordert hat.

Ich möchte an dieser stelle hinweisen auf das 2013 erschienene 'Brandenburgische Hausbuch', in dem auf 550 seiten rund 200 autorInnen aus mehreren jahrhunderten zu wort kommen mit sagen und anekdoten, gedichten und erzählungen, satiren, briefen, zeitzeugenberichten und erinnerungen. Auch ulrich acksel ist darin vertreten.

Seit 2019 gibt es das Projekt, die Erlebnisgaststätte der Familie Acksel in Großräschen als innovativen Hotelbetrieb neu zum Leben zu erwecken. Hier ein Pressebericht!

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