Arthur Rimbaud: BRIEFE UND DOKUMENTE

Arthur Rimbaud bei Autonomie & Chaos, Teil I

Die hier in einer erweiterten Ausgabe wiederveröffentlichte kommentierte Übersetzung der meisten und wichtigsten Briefe des französischen Dichters Arthur Rimbauds (sowie von Dokumenten zu seinem Leben) erschien ursprünglich 1961 im Verlag Lambert Schneider, Heidelberg.

Der Übersetzer Curd Ochwadt schreibt in seinem Nachwort: "Rimbauds Briefe, auch die späten, müssen in aufmerksamem Hinüber- und Herüberblicken mit seinen Dichtungen zusammen gelesen werden. Denn die Briefe bieten einen ausgezeichneten Zugang zu Rimbauds eigenem Verständnis seiner Dichtung und verhelfen damit zu einer angemessenen Annäherung an diese. Andererseits ist bei wenigen Dichtern das Dasein im Ganzen so sehr vom Geschick ihrer Dichtung bestimmt wie hier — Sensation und Mythus um Rimbaud haben das bisher nur verdeckt. Darum öffnen sich auch die Briefe erst dem, der beachtet, in welchem Maße die in der Werkhinterlassenschaft niedergelegte Erfahrung das Dasein dieses Briefschreibers beherrschte."

Die vorliegende Neuausgabe wurde ergänzt durch Erinnerungen der Schwestern Vitalie und Isabelle Rimbaud (ebenfalls in Ochwadts Übertragung), Faksimile-Abbildungen und französische Transkriptionen von Briefen, die ausführliche Dokumentation des neuentdeckten bedeutsamen Briefes an Jules Andrieu (1874) (Übersetzung Petra Bern für A+C)sowie durch Abbildungen und einige Hinweise des Herausgebers. Sie steht im Zusammenhang mit einer Reihe Arthur Rimbaud bei Autonomie und Chaos, zu der noch weitere fünf Wiederveröffentlichungen gehören, die 2021 und 2022 erscheinen (werden).

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Arthur Rimbaud: ZWEISPRACHIGE WERKAUSGABE

Arthur Rimbaud bei  Autonomie & Chaos, Teil II

Jean Nicolas Arthur Rimbaud (1854 – 1891) gilt er als einer der einflußreichsten französischen Lyriker. Poetische Werke verfaßt hat er allerdings nur zwischen seinem 15. und 20. Lebensjahr.Sein weiteres Leben wurde bestimmt von Reisen (London – Stuttgart – zu Fuß nach Italien – Paris – Wien – Brüssel – Java – Nordeuropa – Alexandria – Hamburg – Italien – Zypern); diese wurden immer wieder unterbrochen durch kurzzeitige Rückkehr nach Charleville, den Ort seiner Herkunft, wo seine Angehörigen lebten. Auf Zypern leitet Rimbaud kürzere Zeit die Arbeiten in einem Steinbruch. 1880 gelangte er nach Aden (im heutigen Jemen) und wurde dort Angestellter einer französischen Firma, die mit Pelzen und Kaffee handelte. Anfang 1891, während eines Aufenthalts in Somalia, bekam Rimbaud starke Schmerzen im Knie. Er liquidierte sein Geschäft und reiste unter großen Strapazen nach Marseille. In einer dortigen Klinik stellte sich heraus, daß er Knochenkrebs hatte und das Bein amputiert werden mußte. Hiernach verbrachte er, auf Genesung hoffend, einige Sommerwochen in Roche, fuhr dann unter Schmerzen wieder in die Klinik nach Marseille. Dort starb er am 10. November 1891.

1873 hatte Rimbaud den Zyklus UNE SAISON EN ENFER veröffentlicht, die einzige von ihm initiierte Buchveröffentlichung, die für ihn zugleich das Ende einer grundlegenden poetischen Lebenshaltung bedeutete. 1874/75 arbeitete er an Reinschriften von Prosagedichten mit der Intention, diese für eine anders orientierte Veröffentlichung zusammenzustellen. Diese Reinschriften wurden (unter dem Titel ILLUMINATIONS) ab 1886 von anderer Hand und ohne Rimbauds Wissen in mehreren Varianten veröffentlicht. Sein Leben als Dichter war spätestens 1876 abgeschlossen. – –

Rimbaud irritiert, verstört, andererseits berühren viele seiner Formulierungen schon beim ersten Lesen unmittelbar. Dazu kommt das frühe Lebensalter, in dem sein Werk entstand, kommt der nur schwer zu verstehende Abbruch seiner literarischen Arbeit in einem Alter, in dem andere Künstler – mit derart hohem kreativen Potential – gerade erst angefangen haben.

Der Einfluß des Werkes sowie auch der mysteriösen Persönlichkeit Rimbauds auf die Dichter des Symbolismus und des Expressionismus war beträchtlich, die Surrealisten mit ihrer Idee des nur vom Unbewußten gesteuerten Schreibens, der écriture automatique, orientierten sich an ihm, in anderer Weise die französische Künstlergruppe Le Grand Jeu. Rimbaud wird auch als bedeutender Protagonist der US-amerikanischen Beat Generation verstanden. Bis heute beziehen sich KünstlerInnen unterschiedlicher Provinienz auf Rimbaud, darunter Henry Miller, Patti Smith und Jim Morrison, Wolfgang Hilbig, Thomas Brasch und Volker Braun.

Nach der ersten umfassenderen Rimbaudausgabe auf deutsch (K. L. Ammer 1907, Einführung Stefan Zweig) wurde 1925 Franz v. Rexroths erste Übertragung vorgelegt. – 1954 veröffentlichte der Limes Verlag Wiesbaden dann die Werkausgabe Franz v. Rexroths. Diese wird hier wiederveröffentlicht, erweitert um die französischen Originaltexte. Gedichte, die bei Rexroth fehlen, wurden hinzugefügt. Die Neuausgabe enthält darüberhinaus Faksimiles, 90 zusätzliche Übersetzungen anderer AutorInnen, einen Exkurs zu Rimbauds Brief an Jules Andrieu (16. April 1874), Abbildungen und ein Nachwort des Herausgebers.

Ältere Lyrikübersetzungen aus größerem zeitlichen Abstand wieder zur Hand zu nehmen, kann durchaus Erkenntniswert haben. Sie bewahren den Blick einer anderen Generation, aus anderen sozialen und gesellschaftlichen Umständen auf das Werk. Blinde Flecke, Ressentiments, Moden gibt es in jeder Generation, nur immer wieder verschiedene. Aber auch besondere Sensibilitäten und Nuancen des Menschseins. So gesehen wäre die vergleichenden Lektüre verschiedener Übersetzungen einzelner Rimbaudtexte vielleicht sogar ideal! – Zum Erkunden von Nuancen Rimbaud'scher Gedichte möchte die ergänzende Aufnahme von Einzelübersetzungen anderer AutorInnen in diese Neuausgabe der Rexroth'schen Arbeit einladen.

Mittlerweile gibt es eine Fülle erläuternder Hinweise zu rätselhaften Stellen seines Werkes, auch innerhalb von deutschsprachigen Werkausgaben. Jedoch bleiben viele Gedichte Rimbauds schwierig, lassen keine eindeutige Interpretation zu – im französischen Original so wenig wie in irgendeiner Übertragung gleich welcher Sprache. Hundert Jahre Rimbaud-Exegese konnten diese Rätsel nicht hinwegerklären.

Weitere Veröffentlichungen zu Arthur Rimbaud erscheinen 2022/23 bei A+C.

(Aus dem Nachwort des Herausgebers)

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Clara Krollmann: ARTHUR RIMBAUD. EIN DEUTUNGSVERSUCH

Arthur Rimbaud bei Autonomie & Chaos, Teil VI

Clara Krollmann wurde am 15. 12. 1896 in Köln geboren und legte ihr Reifezeugnis 1924 am Realgymnasium Mainz ab. Sie studierte zunächst in Frankfurt/Main und Würzburg, später in Bonn, wo sie am 15.12.1928 mit der hier wiederveröffentlichten Arbeit promoviert wurde. Weitere Lebens- oder Werkzeugnisse waren leider nicht zu ermitteln. –

Der niederländische Romanist Johan Wilhelm Marmelstein schrieb 1933: "Das schöne Buch ist ein Versuch, die Homogenität sowohl im Werk als auch im Wesen des beunruhigendsten aller Dichter und des widersprüchlichsten aller Menschen zu rekonstruieren." In Deutschland wurde die Arbeit kaum zur Kenntnis genommen.

In beeindruckenden Souveränität verbindet Krollmann schrittweise die Faktoren der Persönlichkeits- und Werkentwicklung Rimbauds und vermittelt uns plausibel, emotional nachvollziehbar und nah an entsprechenden Werkzeugnissen sein Werden als organischen (existentiellen) Bewußtseinsprozeß. Zentrale Aspekte ihrer Interpretation sind dabei Rimbauds frühe Orientierung an der Antike (Prometheus) und Renaissance, – seine Suche nach einer metaphysischen Wahrheit (nach "Gott"?), – die Einsamkeit des Individuums in der modernen Welt (Rationalismus), – das Angebot eines Eingebundensein in die Ordnung der christlichen Tradition, – Rimbauds Kunst als "der Wirklichkeit anheimgegebene ganz persönliche Willensakte", – existentielle ("geistige") Hintergründe seiner Hinwendung zum Orient, – der grundlegende Unterschied zwischen Kulturflucht der Romantik und Rimbauds Intention, eine Funktion des Orients als Läuterungsprozeß...

Ohne Zweifel nimmt auch die Suche nach Bindung an etwas Umfassenderes (nennen wir's Spiritualität, Mystik, Religion, Gott, oder Urheimat) hohen Stellenwert ein bei Rimbaud. Einem christlichen, anti-aufklärerischen oder nationalistischen "Lager" kann Rimbaud jedoch genausowenig einverleibt werden wie später dem surrealistischen oder expressionistischen. Arthur Rimbaud wird heutzutage zu recht zu den ProtagonistInnen einer umfassenden Erneuerung des Lebens im sogenannten "Abendland" gezählt. Dazu zählen kreative Verbindungen zwischen gesellschaftlich-politischen Problemen und den Künsten, Individualität und Gemeinschaft, Mensch und Umwelt. Auch Spiritualität und Religion gehören integral zu diesen Grundparametern des menschlichen Lebens. All das findet sich in Rimbauds Werk und in seinem Leben. Die Bedeutung seiner Persönlichkeit und seines Werks für uns liegt gerade darin, daß er vielen unterschiedlichen Bewußtseinsbewegungen Impulse geben konnte und weiterhin kann, die sich naturgemäß verdichten und dann von Rimbaud wegführen. Jede intensive Lektüre auch nur eines Gedichts führt von Rimbaud weg: in die Welt des Lesers und der Leserin.

Bis heute wohl durch keine andere Arbeit zu ersetzen ist Krollmanns Dissertation in ihrer subtilen Achtsamkeit für Rimbaud in dessen spiritueller Suche. Das ernste Bemühen der Autorin, kulturelle, menschheitsgeschichtliche Zusammenhänge nachzuvollziehen, wird zwar im letzten Teil zum (bewundernswert konsequent durchgehaltenen) ideologischen Klapparatismus, zuletzt auch zu ekstatischer Überhöhung Rimbauds. Gleichwohl können auch diese Passagen ihrer Dissertation mit Gewinn gelesen werden, da auch sie bedenkenswerte Überlegungen enthalten, die allerdings auf Grundlage unserer heutigen Kenntnisse anders interpretiert werden können oder müssen.

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Jacques Rivière: RIMBAUD. Ein Essai

Arthur Rimbaud bei Autonomie und Chaos Berlin, Teil VII

Dieser umfangreiche und tiefgründige Essai des französischen Literaturkritikers Jacques Rivière (1886–1925) wurde vollständig erst 1930 veröffentlicht, fünf Jahre nach dem Tod des Autors. Die deutsche Übersetzung erschien 1968, dann nochmal im Jahr 1979. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der existentiell-spirituellen Dimension von Rimbauds Leben und Werk, eine Fragestellung, die in der Rezeptionsgeschichte weitgehend ausgegrenzt wurde, nachdem ihre frühen Vertreter*innen (Rimbauds Schwester Isabelle, deren Ehemann Paterne Berrichon sowie der katholische Schriftsteller und Diplomat Paul Claudel) in unangemessener und einseitiger Weise versucht hatten, Rimbaud zum christlichen Dichter zu verklären.

Rivières komplexe Stil- und Motivuntersuchungen (mit genauen Belegen in Rimbauds Werk), seine Überlegungen zum Verhältnis der ILLUMINATIONS zu UNE SAISON EN ENFER und sein Enthusiasmus machen diese tiefgründige, poetische und wagemutige Arbeit bis heute zu einem unersetzbaren Glücksfall der Rimbaudrezeption.

Die umfangreiche Einleitung des Romanisten Rolf Kloepfer (bereits in der deutschen Originalausgabe enthalten) erläutert Hintergründe und Zusammenhänge der Arbeit, das Nachwort zur Neuausgabe 2022 trägt ergänzende Überlegungen bei.

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Paul Verlaine: BRIEFE GEDICHTE TEXTE

Arthur Rimbaud bei Autonomie und Chaos, Teil V

Während der Arbeit an den Veröffentlichungen von und zu Arthur Rimbaud bedrängte mich immer wieder die Frage nach dem Dichter Paul Verlaine, mit dem Rimbaud in einem so verwirrenden Verhältnis gestanden hatte. – Schon 1870, noch in Charleville, hatte er Verlaines Gedichte für sich entdeckt, im September 1871 nahm er brieflich Kontakt zu ihm auf, schickte eigene Texte. Verlaine reagierte enthusiastisch, lud den zehn Jahre Jüngeren zu sich nach Paris ein. Offensichtlich fühlten sich beide voneinander im Innersten berührt und angesprochen. Eine leidenschaftliche Beziehung entstand. Aber grade in solcher Nähe und Unbedingtheit werden wir verwundbar, zeigen sich früher oder später Fremdheiten, die manchmal unüberwindbar sind. So war es auch hier. Während Rimbaud 1876 Europa floh, wurde Verlaine auf einem von Leid, Einsamkeit, Selbstzerstörung und später Religiosität bestimmten Weg zu einem anerkannten, ja berühmten Dichter eines Werkes, das weitab lag von der früheren literarischen Verbundenheit zwischen ihm und Rimbaud. Und obwohl Rimbaud nicht nur von seinem eigenen Werk, sondern auch von dem Freund nichts mehr wissen wollte, setzte sich Verlaine bis zum Lebensende publizistisch und persönlich ein für Rimbauds Werk. Ohne Verlaines spätere Popularität wäre es ihm kaum möglich gewesen, erfolgreich für Rimbauds Werk einzutreten. Und ohne Paul Verlaine wären Rimbauds Gedichte zweifellos zerstoben und für die Menschheit verloren. – Alles in allem eine seltsame lebenslange schicksalhafte Verbindung zwischen den beiden, über die wir nur staunen können!

Gerhart Haugs Buch Paul Verlaine. Die Geschichte des armen Lelian erschien 1944 in einem Schweizer Verlag. Es wird hier erstmalig wiederveröffentlicht – wesentlich erweitert um Gedichte, Texte, Abbildungen und Faksimiles und unter einem neuen Titel.

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Paul Zech: TRUNKENES SCHIFF. SZENISCHE BALLADE UM ARTHUR RIMBAUD

Der Schriftsteller Paul Zech (1881-1946) trat zunächst hervor als Autor expressionistischer Lyrik und Prosa. Er fand Kontakt zu Else Lasker Schüler und Franz Werfel und lebte ab 1909 in Berlin. Seine Szenische Ballade Das trunkene Schiff(Uraufführung: Volksbühne Berlin 1926) wurde als einziges seiner mehr als 20 Theaterstücke bekannter. Seit 1924 entstanden Zechs Rimbaud-Nachdichtungen, die 1927 in einem Band vereinigt erschienen. Der relative Erfolg des Buches setzte allerdings erst nach 1963 ein, und zwar in einer 1944 stark überarbeiteten Version. Diese wurde bis in die jüngste Zeit hinein mehrfach nachgedruckt, obwohl die Texte äußerst frei übertragen wurden.

Die vorliegende Veröffentlichung (2022) möchte die Szenische Ballade in die gegenwärtige deutschsprachige Rimbaudrezeption hineinstellen. Eine ausführliche Einführung der Theaterwissenschaftler Hermann Haarmann & Klaus Siebenhaar (in dieser Ausgabe enthalten), vielleicht die einzige differenzierte Arbeit zu diesem Theaterstück, begründet, wieso gerade Zechs subjektiv-einseitige, anarchische, ungebärdige Szenische Ballade künstlerisch wertvoll und bewahrenswert ist: nämlich als Ausdruck künstlerischer Authentizität, die sich Kriterien der Theatertradition nicht beugen darf, um nicht zu Kunstgewerbe zu verkommen. – Arthur Rimbaud gilt in Frankreich und anderen Ländern auch unter den jüngeren Generationen als avantgardistischer, immer neu zu entdeckender Dichter, Künstler, Mensch. Im deutschsprachigen Raum fehlt diese gegenwartsorientierte Rezeption bisher weitgehend. Auch Paul Zechs Szenische Ballade könnte ein Anknüpfungspunkt sein.

Paul Zechs Arbeiten zu Rimbaud beleuchten vielleicht in ihrer subjektiven Einseitigkeit eine Facette Rimbauds, die in der Literaturwissenschaft gerne zu kurz kommt. So empfinde ich vor allem Zechs Szenische Ballade Das trunkene Schiff unbedingt als Bereicherung der Rimbaudliteratur. "Zechs Drama will gerade die Ambivalenz zwischen absoluter Kunst und absolutem Leben als höchste Stufe der Spannung, damit der fragilen Sensibilisierung des Dichters in einer entsensibilisierten, spießigen Welt aufzeigen. Die ständige Entgrenzung des schöpferischen Ichs führt zur Ich Dissoziation; die darin obwaltende Tragik erhöht die Kunstfigur zum Titan, der jene Polarität in sich bewußt auslebt." (Haarmann/Siebenhaar)

Zechs Theaterstück erinnert daran, daß auch Rimbaud kein Rousseau'scher Edler Wilder war – auch nicht in seiner ersten (poetischen) Lebenszeit. Er war einer von uns – vielfältig zersplittert in oft unvereinbare Facetten von Primärsozialisation, sozialen Normen und Widerstand gegen diese, Selbstentfremdung, seelischer Wurzellosigkeit und Konstruktionen von Beheimatung, Beziehungslosigkeit und individuellen Fähigkeiten und Intentionen, auf der Suche nach Sinn und Wert des eigenen Lebens, nach Bestätigung seines Soseins in der Menschenwelt.. – wie wir alle, nur mit besonders viel kreativer Begabung und Lebenskraft, Verzweiflung und Sehnsucht.In Rimbauds poetischem Werk lassen sich die Spuren all dessen überlesen, wenn wir es denn wollen; Paul Zech stellt solche Momente (und ihre praktischen Auswirkungen) in den Mittelpunkt seines Theaterstücks Das trunkene Schiff und bringt uns Arthur Rimbaud in besonderer Weise nahe, macht ihn für uns unmittelbar berührbar. Dies muß unterkomplex bleiben – wie unsere Erfahrung von Mitmenschen selbst im persönlichen Kontakt immer unterkomplex ist.

Was in den 20er Jahren noch schockierend war, können wir heute direkt nachempfinden und mitfühlen als Momente individueller Rebellion, wie sie zumindest seit der Beat Generation um 1950-1960 zum Spektrum jugendlicher und kreativer Entfaltung gehören (auch innerhalb von Theaterinszenierungen).

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Walther Küchler: ARTHUR RIMBAUD / BILDNIS DES DICHTERS

Arthur Rimbaud bei Autonomie & Chaos, Teil III

Die Rimbaudübersetzungen Walther Küchlers, erschienen 1946, werden bis heute nachgedruckt (derzeit bei S. Fischer), seine 1948 publizierte Monographie wird hier erstmalig wiederveröffentlicht. Küchlers philologisch fundierte Rimbaud-Übertragungen sind hilfreich beim Bemühen, den französischen Text zu lesen. Affektive und poetische Authentizität kommt jedoch bei Küchlers Versionen gelegentlich zu kurz. Seine Monographie bildet dazu eine glückliche Ergänzung! Hier stellt der Autor nuanciert und tiefgründig dar, wie er selbst das über die Worte Hinausgehende bei Rimbaud wahrgenommen hat. Sie erst zeigt Küchlers affektive, poetische, spirituelle Einfühlung in Rimbauds Seelenwelt, die gleichwohl Grundlage auch der Übertragung des Werkes war, – wo Küchler sich jedoch dem Prokrustesbett der philologischen Redlichkeit anschmiegen wollte.

"Wenn man Rimbaud am nächsten kommen will, muß man sich dem einsamen Wanderer, der er war, nähern und ihn bitten, ihn im Geist begleiten zu dürfen." (W.K.)

Der Romanist und Literaturwissenschaftler Walther Küchler (1877–1953) wurde bekannt auch für seine Übertragungen sämtlicher Dichtungen François Villons sowie der Prosadichtungen Baudelaires. Monographien erschienen auch über Molière und Ernest Renan. – 1933 versetzten die Nationalsozialisten ihn in den vorzeitigen Ruhestand.

Die Neuausgabe enthält einige Abbildungen, ein Nachwort des Herausgebers sowie einen Anhang mit folgenden Beiträgen:

  • Arthur Rimbauds Brief an Jules Andrieu (1874)
  • Hermann H. Wetzel: Chant de guerre parisien als Beispiel engagierter Dichtung
  • Roger Gilbert-Lecomte: Après Rimbaud la mort des arts
  • Dieter Wyss: Rimbaud und der Surrealismus
  • Thomas Bernhard über Arthur Rimbaud (1954)
  • Greta F.: Junkie
  • Patti Smith: An Rimbauds Grab
  • Arthur Rimbaud: UNE SAISON EN ENFER (1873) (Faksimile)

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